Artikel

Der Umgang mit gehörlosen Menschen in der Medizin

Der Umgang mit gehörlosen Menschen in der Medizin

Ein Interview mit Herrn Dr. David Kaufmann – Leiter der Gehörlosenambulanz im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Graz, Standort Marschallgasse


Der Umgang mit gehörlosen Menschen in der Medizin


Ein Interview mit Herrn Dr. David Kaufmann – Leiter der Gehörlosenambulanz im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Graz, Standort Marschallgasse

 

CredoWeb: Was genau ist die Problematik betreffend Medizin & Gehörlosigkeit?

 

Dr. David Kaufmann: Es hat eine sehr lange Geschichte, in der von der Mehrheit der Gesellschaft Gehörlose sehr defizitär betrachtet worden sind. Dies empfinden Gehörlose teilweise z.B. im HNO-ärztlichen Setting noch immer, denn sie erleben ein Drängen zu Cochlear-Implantaten als äußerst übergriffig. Man will etwas korrigieren, was aber für die Betroffenen als ganz normal erfahren wird.

 

 

Aus dem heraus ist auch eine ganz eigene Kulturbewegung und ein eigenes Selbstverständnis der Gehörlosigkeit gegenüber entstanden. Dadurch, dass die Gebärdensprache 2005 als eigenständige Sprache anerkannt wurde, ist auch ein ganz neues Selbstbewusstsein bei gehörlosen Menschen entstanden.

Der Wunsch nach einer Gehörlosenambulanz ist schon vor ca. 25 Jahren von den Gehörlosen ausgegangen. Sie wollten mit einem Arzt, Psychologen oder Sozialarbeiter in Gebärdensprache kommunizieren und dies in einem 4-Augen-Gespräch ohne Beisein von Dritten, sprich eines Dolmetschers.

Früher waren Gehörlose auf hörende Familienangehörige angewiesen, was natürlich kein Ersatz für professionelle Dolmetschung ist. Ganz besonders, wenn es sich um intime Angelegenheiten handelt. Oft sind sogar Kinder hinzugezogen worden, welche weder den gewünschten Wortschatz noch das Verständnis für ein derartiges Gespräch hatten.

Heute bestehen in Österreich 4 Gehörlosenambulanzen (Linz, Salzburg, Wien, Graz).

 

CredoWeb: Wie viele Gehörlose gibt es ca. in Österreich & hat sich in den letzten Jahren in Bezug auf bessere Betreuung etwas getan?

 

Dr. David Kaufmann: Es gibt keine genauen Zahlen - aber man schätzt, dass es ca. 10.000 gehörlose Menschen in Österreich gibt. Dazu kommt aber noch ein weiterer Kreis von weiteren 500.000 hörbeeinträchtigten Menschen. 

Wir betreuen hier in Graz in der Ambulanz ca. 2/3 der Gehörlosen in der Steiermark. Die Kommunikation unter Gehörlosen funktioniert sehr gut, weil sie z.B. in Vereinen organisiert sind und dort werden Informationen relativ rasch weitergegeben. In der Ambulanz ist die Verwendung der Gebärdensprache als Arbeitssprache Voraussetzung und wir haben auch eine Sekretärin, die gehörlose Eltern hat – dadurch hatten wir von Anfang an einen großen Vertrauensvorschuss!

Nach wie vor ist es schwierig Gehörlose zu erreichen, die weiter weg von den Zentren wohnen. Diejenigen, die in peripheren ländlichen Gegenden leben, sind oft von Isolation betroffen, denn dort  hat Gebärdensprache oft gar keinen Stellenwert. Wenn diese Menschen in Not geraten, vermittelt z.B. der niedergelassene Hausarzt  und informiert, dass es eine Gehörlosenambulanz gibt und stellte den Kontakt zu uns her. Auch die Information über die Medien hat einen wichtigen Stellgenwert zur Information über unser Angebot.

 

 

Bei geplanten stationären Aufenthalten wenden sich Gehörlose zuerst an uns. Wir stehen in Folge bei Aufnahmegesprächen und Visiten zur Verfügung, damit die Gespräche in Gebärdensprache stattfinden können. Auch auf andere Ambulanzen in unserem Haus werden gehörlose Patienten begleitet.

 

Ein wesentlicher Punkt ist übrigens, dass die Schriftkommunikation oft sehr schlecht funktioniert. Es wird oft angenommen, dass Schreiben die Lösung für die Kommunikationsbarriere sei. Jedoch, wenn man die Lautsprache nicht oder nur wenig erworben hat, kann man sie folglich auch nicht bzw. nicht sehr gut schreiben. Die reduzierte Lese- und Schriftkompetenz muss daher in Bezug auf Verwendung von deutscher Grammatik und Wortschatz berücksichtigt werden. Somit ist die schriftliche Kommunikation nur eine schlechte Alternative zur Verwendung von Gebärdensprache. Wenn man aber keine Gebärdensprache kann, ist es natürlich eine Möglichkeit. Man sollte aber wissen, dass man einfache, nicht verschachtelten Sätze bilden und keine Fremdwörter verwenden sollte.

 

 

Die Gebärdensprache ist für Gehörlose sehr reichhaltig und sie besitzt einen umfangreichen Wortschatz und auch eine eigene Grammatik, in der einzelne Gebärden unter Nutzung eines räumlichen Grammatikfeldes zu komplexen Sätzen verbunden werden. Dadurch ist Gebärdensprache als eigenständige, vollwertige Sprache anerkannt.

 

CredoWeb: Was ist wichtig im Umgang mit gehörlosen Menschen?

 

Dr. David Kaufmann: Zuerst einmal muss uns bei der Kommunikation mit gehörlosen Menschen bewusst sein, dass eine schriftliche Interaktion nicht die optimale Lösung aber eine Möglichkeit ist.

 

Der Augenkontakt ist sehr wichtig, da Gehörlose zum Ablesen das Mundbild benötigen. Dabei sollte man wissen, dass langsames und deutliches Sprechen - aber nicht Überartikulieren - essentiell ist, denn leider sind nur 1/3 der Laute eindeutig ablesbar. Den Rest müssen Gehörlose komplex aus dem Zusammenhang analysieren und auch erraten. Das bedeutet also eine gewisse Fehleranfälligkeit im Verständnis.

 

 

 

Grundlegend ist auch, dass der Raum gut ausgeleuchtet ist und dass man sich als Sprechender nicht vor eine Lichtquelle stellt, da dies eine Blendungsquelle darstellt und sich Schatten im Mund- und Gesichtsbereich bilden.

Am Optimalsten ist der Einsatz von geprüften Gebärdensprachdolmetschern. Die Kosten für Dolmetschungen im medizinischen Bereich werden in der Steiermark vom Land getragen, wodurch diese Dienstleistung für Arzt und Patienten kostenfrei ist.

 

CredoWeb: Was bietet die Gehörlosenambulanz der BHB Graz für Gehörlose bzw. mit welchen Anliegen kann/darf man sich bei Ihnen vorstellen?

 

Dr. David Kaufman: Erstmals sei gesagt, dass die PatientInnen keine Überweisung benötigen, wenn sie zu uns kommen. Sie können sich mit jedem Anliegen vorstellen, da wir eine Erstanlaufstelle sind - ein Gesundheitszentrum für Gehörlose, in dem verschiedene Disziplinen zusammenarbeiten.

 

 

Deswegen gibt es bei uns auch diese 3 Säulen:

 

  • Medizin
  • Sozialarbeit
  • Psychologie

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist von großer Wichtigkeit, um adäquat Hilfeleistungen anzubieten.

Im medizinischen Bereich steht die allgemeinmedizinische Betreuung und Gesundheitsvorsorge im Vordergrund - vom Baby bis zum Hochaltrigen. Wenn fachärztliche Kompetenzen notwendig sind, vernetzen wir uns nach außen in den niedergelassenen Bereich und organisieren Dolmetscherinnen, sodass die Kommunikation gut verläuft und eine hohe Qualität der Anamnese und Diagnostik garantiert ist.

 

CredoWeb: Was ist Ihnen persönlich wichtig?

 

Dr. David Kaufmann: Mir ist es ein Anliegen zu vermitteln, dass Gebärdensprache und Lautsprache nebeneinander existieren dürfen! Lange Zeit hat man aus der pädagogischen oder teilweise auch medizinischen Richtung gesagt, dass die Gebärdensprache die lautsprachliche Entwicklung verhindere. Hier gibt es nun aber genügend Studien, die das widerlegen. Ziel ist es, dass sich Gehörlose sozial und kognitiv gut entwickeln können - und dafür braucht es den Zugang zu Sprache und eine gute Zusammenarbeit unterschiedlichster Disziplinen.

 

 

 

 

Interview: Christina Neumayer

Kommentare