Artikel

Welt-Schlaganfall-Tag: Österreichs Schlaganfall-Versorgung wird immer besser

Welt-Schlaganfall-Tag: Österreichs Schlaganfall-Versorgung wird immer besser

Schlaganfall–Versorgung: Österreich im europäischen Spitzenfeld

 

„Auf dem soeben zu Ende gegangen Welt-Schlaganfall-Kongress in Montreal hat sich gezeigt, dass die Schlaganfall-Epidemie noch brisanter ist als bisher gedacht“, sagt Univ.-Prof. Dr. Michael Brainin (Präsident der World Stroke Organisation; Donau-Universität Krems) bei einem Pressegespräch anlässlich des Welt-Schlaganfall-Tages (29. 10). „Die weltweite Wahrscheinlichkeit, dass ein Über-25-jähriger an einem Schlaganfall stirbt, hat sich von 12 Prozent auf 14 Prozent erhöht.“ Somit stirbt weltweit jeder 7. Mensch über 25 Fan einem Schlaganfall. In China ist es jeder 3., und in Zentral- und Osteuropa jeder 4., „und das schließt auch Österreich ein“, so Prof. Brainin.

 

Prof. Kiechl: Österreich in der Schlaganfallversorgung im europäischen Spitzenfeld

 

„Bei der Qualität der Schlaganfallversorgung zählt Österreich zu den fünf besten Ländern in Europa. Zu diesem Schluss kam eine aktuelle Studie (ESO ESMINT EAN SAFE Survey), die alle europäischen Länder verglichen hat“, so Univ.-Prof. Dr. Stefan Kiechl (Präsident der Österreichischen Schlaganfallgesellschaft, Medizinische Universität Innsbruck). „Bei der Thrombolyse ist Österreich gemeinsam mit Dänemark Europameister. Auch bei den Thrombektomien, der mechanischen Entfernung von großen Blutgerinnseln, liegen wir ganz weit vorne. Dass hängt u. a. mit dem dichten Netz an Schlaganfalleinheiten zusammen, das flächendeckend das gesamte Bundesgebiet abdeckt.“

 

Prof. Lang: Mechanische Beseitigung von Hirn-Thrombosen setzt sich durch – Zeitfenster wird größer

Die Thrombektomie ist der neue Therapiestandard bei der Behandlung schwerer Schlaganfälle, die durch den akuten Verschluss einer großen Hirnarterie bedingt sind,

sagt Prim. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Lang (Barmherzige Brüder Krankenhaus Wien). Das Zeitfenster für diese Behandlung wird immer größer (G.W. Albers et al.; S.M. Desai et al.; R.G. Nogueira et al.) „Die Therapie ist also nicht ausschließlich binnen fünf Stunden nach dem Schlaganfall wirksam, sondern – wenn noch genügend rettbares Gewebe besteht – auch bis zu 16 Stunden danach“, so Prof. Lang. Das bedeutete eine Ausweitung der Indikationsstellung.

 

Die Zahl dieser Eingriffe steigt in Österreich beständig an. Prof. Lang: „Wir rechnen, dass von den jährlich 24.000 Schlaganfällen in Österreich zwischen fünf und zehn Prozent schwere Schlaganfälle sind und mit einer endovaskulären Therapie versorgt werden müssten.“

 

Pilotprojekte zur Erkennung schwerer Schlaganfälle

 

Für den optimalen Ablauf der Therapie ist es wichtig, sehr frühzeitig schwere Schlaganfälle erkennen zu können, die für eine Thrombektomie in Frage kommen. In Tirol gibt es seit Februar 2018 einen Modellversuch. Die Rettungszentrale muss prähospital einschätzen, ob ein Schlaganfall vorliegt oder nicht. Beim schweren Schlaganfall erfolgt der direkte Transport in ein Interventionszentrum, das die endovaskuläre Therapie durchführen kann, z. B. mit Hubschrauber-Einsatz.

 

„Wir haben ein spezielles System entwickelt, das die Merkmale des schweren Schlaganfalls mit Punkten bewertet. Addiert man die Punkte, lässt sich der Schweregrad des Schlaganfalls gut einschätzen“, so Prof. Lang. Das Tiroler Pilotprojekt hat im Februar begonnen und wird wissenschaftlich evaluiert. Ein ähnliches Projekt soll nächstes Jahr in Niederösterreich starten.

„In Wien läuft seit 1. Oktober ein Modellversuch, bei dem die Wiener Rettungskräfte schwere Schlaganfälle an den Tagen, an denen wir zuständig sind, statt in das nächste Stroke Zentrum gleich ins Krankenhaus der Barmherzigen Brüder bringen“, berichtet Prof. Lang. „Wir haben die Wiener Rettungssanitäter so ausgebildet, dass sie einen schweren von einem leichten Schlaganfall unterscheiden können. Es wird wissenschaftlich evaluiert, wie sich dadurch die Versorgungzeiten verbessern und wie gut die Rettungssanitäter die Schlaganfälle beurteilen können.“

 

Film und Broschüre informieren medizinische Laien über Früherkennung schwerer Schlaganfälle

 

Um medizinischen Laien zu vermitteln, wie sie einen schweren von einem leichten Schlaganfall unterscheiden können, wurde ein spezieller Film gedreht, in dem fünf Merkmale dargestellt werden: Gesichtslähmung, Armschwäche, Sprachstörung, Beinschwäche, Herdblick (Blickwendung). Es gibt auch eine Broschüre dazu.

 

Prim. Fertl: Stroke Units und endovaskuläre Zentren in Österreich

 

Um Patienten eine endovaskuläre Therapie zu ermöglichen, bilden sich in Österreich immer dichtere Netzwerke. Derzeit gibt es 39 einfache Stroke Units und neun gut etablierte Interventionszentren, Comprehensive Stroke Centers (Zahl der Interventionen 50-200/ Jahr), zwei weitere Zentren sind im Aufbau. Sie intensivieren die Zusammenarbeit, um eine flächendeckende Versorgung rund um die Uhr zu ermöglichen.

 

Im Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) wurden zuletzt 2017 die Kriterien für die Strukturqualität der Stroke Units aktualisiert und auch erstmals ein interdisziplinäres Expertise-Zentrum namens „endovaskuläre Neurointervention“ definiert, so Prim. Univ.-Doz. Dr. Elisabeth Fertl, (Past-Präsidentin der ÖGN; Krankenanstalt Rudolfstiftung, Wien).

 

Eine Stroke Unit muss verpflichtend einer neurologischen Abteilung angeschlossen sein. Sie muss jeden Tag rund um die Uhr verfügbar und innerhalb von maximal 60 Minuten erreichbar sein, und umfasst einen Versorgungsbereich von mindestens 200.000 Einwohnern.

Die Aufgabe einer Stroke Unit liegt in der Aufnahme und multimodalen Überwachung von Akutpatienten mit Verdacht auf Schlaganfall. Häufige Begleiterkrankungen und Komplikationen werden frühzeitig erkannt und behandelt, und es erfolgt eine Frührehabilitation im Hinblick auf Schlucken und Mobilisation. Die Eckpfeiler der Behandlung auf einer Stroke Unit sind die Verabreichung der systemischen Thrombolyse zur Wiedereröffnung des verschlossenen Gehirngefäßes. Dafür kommen nur ausgewählte Patienten in Frage, wobei Österreich mit einer Thrombolyse-Rate von 18 Prozent im oberen Feld in Europa liegt. „Dies führt in Summe zu weniger Todesfällen und weniger Behinderung nach akuten Schlaganfällen“, so Prim. Fertl.

 

„Zusätzlich hat eine Stroke Unit noch eine ‚Kümmerer-Funktion‘“, sagt Prim. Fertl. Sie muss auch dafür sorgen, dass der gesamte Versorgungsprozess optimal läuft: die Zusammenarbeit innerhalb des Krankenhauses, die Netzwerke außerhalb des Spitals, die Organisation des Rettungswesens, das Qualitätsmanagement, Wissenschaft und Entwicklung, Fort- und Weiterbildung, die Nachsorge sowie die Öffentlichkeitsarbeit (D.G. Nabavi et al.). Prim. Fertl: „Hier gibt es ständig Optimierungs-Möglichkeiten.“

 

Endovaskuläre Zentren – Neues Netzwerk für Teleradiologie in Ostösterreich

 

Auch die Schlaganfallzentren, in denen die endovaskuläre Thrombektomie durchgeführt werden kann, wurden im ÖSG von 2017 erstmals definiert. Demnach muss ein Zentrum für „endovaskuläre Neurointervention“ bestimmte Strukturqualitätskriterien erfüllen – von der Anzahl der Ärztinnen und Ärzte, der Angiografie, der Neurochirurgie bis hin zur Intensivstation. „Ein wesentlicher Punkt besteht hier in der Zusammenarbeit mit der Radiologie und Neurochirurgie“, so Prim. Fertl. „Wie die DAWN Studie gezeigt hat, kann man das Zeitfenster für die Thrombektomie erweitern, wenn eine ausgeklügelte Bildgebung zur Verfügung steht. Somit wird die neue Behandlungsmöglichkeit der Thrombektomie bei Schlaganfall zu einem Motor für die Etablierung von Netzwerken für Teleradiologie. Dies ist eine große Herausforderung für das österreichische Spitalswesen, da hier Bundesländergrenzen überwunden und unterschiedliche Kostenträger zusammenspielen müssen.“

 

In Ostösterreich – Wien, Niederösterreich und dem Nordburgenland – wurde ein teleradiologisches Netzwerk etabliert, in dem die verschiedenen Krankenhäuser, die Kostenträger und die Bundesländer so vernetzt sind, dass Bilder vom Zuweiser an das diensthabende endovaskuläre Interventionszentrum geschickt werden können.

 

Prof. Kiechl: Behandlungspfade und Qualitätsstandard Schlaganfall – Optimierung bei der Nachsorge

 

„Durch die Optimierung aller Abläufe vom Rettungswesen bis zur Rehabilitation kann die gesamte Behandlung des Schlaganfalls weiter verbessert werden“, sagt Prof. Kiechl. In einigen Bundesländern wie der Steiermark, in Tirol, Oberösterreich und seit kurzem auch in Niederösterreich wurden qualitativ gute „Behandlungspfade“ implementiert. Vom Gesundheitsministerium wurde unter der Bezeichnung „Qualitätsstandard Schlaganfall“ ein Pfad für ganz Österreich ausgearbeitet, der sich zurzeit in der Endbegutachtung befindet.

 

„Luft nach oben gibt es vor allem in der Nachsorge“, sagt Prof. Kiechl. Anders als etwa bei einer Tumorerkrankung oder bei einem Herzinfarkt werden Schlaganfallpatienten nicht alle sechs Monate einbestellt, um entsprechende Untersuchungen durchzuführen. Prof. Kiechl: „In den nächsten Jahren soll die Schlaganfallnachsorge in ganz Österreich etabliert werden, denn jeder fünfte Schlaganfall ist ein wiederholter Gehirnschlag. Dieses Fünftel aller Fälle wäre verhinderbar – wenn alles optimal laufen würde.“

 

Am 28. Oktober wird der Aktionsplan Schlaganfall für Europa 2018-2030 veröffentlicht. Ein zentrales Ziel ist es, Schlaganfallpfade in ganz Europa auszurollen. Die Modelle aus Österreich sind hier Vorbild, so Prof. Kiechl. Ein zweites zentrales Ziel ist es, die Schlaganfalleinheiten europaweit noch weiter auszubauen. Als dritte Maßnahme soll noch mehr in die Prävention investiert werden.

 

Doz. Ferrari: Nie zu früh und nie zu spät für Schlaganfall-Prävention

 

„Ein erheblicher Anteil der rund 24.000 jährlichen Schlaganfälle in Österreich wäre vermeidbar“, sagt OA Doz. Dr. Julia Ferrari (Barmherzigen Brüder Krankenhaus, Wien). In den meisten Fällen lassen sich Risikofaktoren bereits lange vor dem Schlaganfall identifizieren, sie sind beeinflussbar durch Behandlung und Lebensstil-Umstellung. Doz. Ferrari:

Die gute Nachricht: Wir können anhand des Österreichischen Stroke Unit Registers zeigen, dass sich das mittlere Schlaganfall-Alter Jahre immer weiter in das höhere Lebensalter verschiebt.

Wie die INTERSTROKE-Studie zeigt, sind zehn Risikofaktoren für 90 Prozent aller Schlaganfälle weltweit verantwortlich: Bluthochdruck, Bewegungsmangel, ungünstige Blutfettwerte, Ernährung, das Verhältnis von Taillen- und Hüftumfang, Rauchen, psychosoziale Faktoren, Alkohol, kardiale Erkrankungen und Diabetes.

 

Das seit „Stroke Unit Register“ liefert Daten von mehr als 150.000 Schlaganfällen: 79 Prozent aller Betroffenen hatten einen zu hohen Blutdruck. 54 Prozent ungünstige Blutfettwerte. Vorhofflimmern war bei 26 Prozent bekannt oder wurde neu diagnostiziert. 18 Prozent rauchten.

 

Was das Schlaganfallsrisiko senken kann

 

Eine Reihe von Maßnahmen kann nachweislich die Zahl der Schlaganfälle senken: Die konsequente Umsetzung von fünf Lebensstil-Maßnahmen (Nikotinkarenz, BMI <25 kg/m2, regelmäßige körperliche Aktivität, geringer Alkoholkonsum, gesunde Ernährung) kann das Schlaganfall-Risiko um bis zu 80 Prozent senken.

 

Bluthochdruck ist populationsbezogen der häufigste Risikofaktor. Er sollte öfter erkannt und nachhaltig behandelt werden: Allein damit lässt sich das Schlaganfallrisiko um 32 Prozent reduzieren.

 

Das frühzeitige Erkennen und Behandeln von Vorhofflimmern mit innovativen blutverdünnenden Substanzen (NOAKs) senkt ebenfalls die Schlaganfallrate in dieser Risikogruppe erheblich.

 

Nur durch den Einfluss der Statine konnte z.B. bei Patienten mit asymptomatischen Karotisstenosen das Risiko für einen Schlaganfall von drei Prozent in den 80er Jahren auf aktuell unter 0,5 Prozent gesenkt werden. Für Menschen, die diese Medikamente nicht vertragen, gibt es jetzt zusätzlich die PCSK9 Inhibitoren.

 

Doz. Ferrari:

Die Umstellung auf einen gesunden Lebensstil ist auch deshalb so wichtig, weil zwischen kardiovaskulären Erkrankungen, Schlaganfall und vaskulärer Demenz enge Verbindungen bestehen und diese dieselben Risikofaktoren haben.

Prävention ist in jedem Alter ein Thema

 

Eine neue Studie (Williamson et al.) zeigt, wie wichtig eine optimale kardiovaskuläre Gesundheit bereits in jungen Jahren ist: Sie verbessert die zerebrale Durchblutung und hilft, subklinische Läsionen in der weißen Gehirnmasse zu vermeiden. Erhöhte Risikofaktoren für Herz- und Kreislauferkrankungen führen hingegen bereits früh im Leben zu einer Verminderung der Dichte der Gehirngefäße und zu einer schlechteren Durchblutung des Gehirns. Doz. Ferrari:

Risikofaktoren vermeiden oder bereits bestehende Gesundheitsrisiken beseitigen kann also nicht früh genug beginnen.

Eine weitere aktuelle Studie (Samieri et al.) beobachtete einen starken Zusammenhang zwischen der kardiovaskulären Gesundheit und beginnender Demenz und stellte fest, dass dieser Zusammenhang auch noch zwischen dem 70. und 80. Lebensjahr für den Beginn und den Verlauf von Demenz entscheidend ist. Doz. Ferrari:

Prävention ist also in jedem Alter ein Thema.

Quelle: Presseaussendung zum Welt-Schlaganfall-Tag / B&K –Bettschart & Kofler Kommunikationsberatung / Im Bild: v.l.n.r.: OÄ Doz. Dr. Julia Ferrari, Prim. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Lang, a.o. Univ.-Prof. Dr. Stefan Kiechl, Prim.a Univ.-Doz.in Dr.in Elisabeth Fertl, Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Brainin / Fotocredit: © B&K/APA-Fotoservice/Rastegar

Kommentare