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Dreiländertagung zur multimodalen Schmerztherapie: Österreich hat Aufholbedarf

Dreiländertagung zur multimodalen Schmerztherapie: Österreich hat Aufholbedarf

Rund 20 Prozent der Erwachsenen – das haben österreichische Bevölkerungsbefragungen ebenso wie internationale Studien gezeigt – leiden an chronischen Schmerzen. Einem großen Teil von ihnen kann durch angemessene medikamentöse oder nichtmedikamentöse Maßnahmen gut geholfen werden. Bei einem Teil kann das Leiden aber komplex und problematisch werden, weiß die Präsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) Dr. Gabriele Grögl-Aringer (Krankenhaus Rudolfstiftung, Wien):

Bei mehr als 20 Prozent der Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, haben sich die Beschwerden zu einer eigenständigen Schmerzkrankheit verselbständigt. Die betroffenen Patientinnen und Patienten leiden dann unter komplexen, körperlichen, seelischen und sozialen Beeinträchtigungen. Hier ist eine multimodale Schmerztherapie angezeigt.

Unter multimodaler Schmerztherapie nach internationalen Standards ist ein ganzheitlich orientiertes, umfassendes Behandlungskonzept zu verstehen, das medikamentöse und nichtmedikamentöse Verfahren sowie psychologische und physiotherapeutische Interventionen kombiniert, individuell auf die Patienten zugeschnitten und multiprofessionell umgesetzt wird.

 

Ca. 20 Prozent der Erwachsenen sind von chronischen Schmerzen betroffen.

Österreichische Schmerzgesellschaft als Gastgeber für Dreiländertagung

Am 29. und 30. März findet in Wien unter dem Motto „Visionen moderner Schmerzmedizin – Multimodale Schmerzmedizin“ eine Dreiländertagung (ACHD) statt. Die ÖSG ist Gastgeber dieser ersten länderübergreifenden Konferenz der drei deutschsprachigen Fachgesellschaften.

Neben dem fachlichen Austausch über die Grenzen hinweg ist es ein Ziel der Tagung, das Konzept und den Nutzen der multimodalen Schmerztherapie weiter bekannt zu machen und die vielfältigen Aspekte dieses Ansatzes  zu diskutieren,

sagt Tagungspräsident Univ.-Prof. Dr. Michael Herbert, Medizinische Universität Graz.

 

„Wir werden dabei unter anderem der Fragestellung nachgehen, warum und wie Schmerzmedizin generell und multimodale Schmerztherapie im Besonderen interdisziplinär organisiert sein soll, welche Therapiemaßnahmen unerlässlich und welche zusätzlich wünschenswert sind, sowie welche Qualitätskriterien erfüllt sein müssen.“

Zahlreiche Belege für die Wirksamkeit

Ein wichtiger Gesichtspunkt bei der multimodalen Schmerztherapie ist die aktive Einbeziehung der betroffenen Patientinnen und Patienten.

Maßnahmen, bei denen Betroffene selbst etwas zur Schmerzlinderung beitragen können, sind ein wesentlicher Bestandteil der multimodalen Ansätze und zeigen auch einen besonders nachhaltigen Effekt,

so Prof. Herbert.

Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen haben die Überlegenheit der multimodalen gegenüber einer monomodalen Schmerztherapie bewiesen.

Bei der multimodalen Schmerztherapie behandeln Ärzte und Therapeuten
den Schmerz aus allen Richtungen.

 

Einige aktuelle Beispiele: Eine Studie (T. Reck et al.) zeigte etwa, dass Patientinnen und Patienten mit chronischen unspezifischen Rückenschmerzen drei und sogar noch zwölf Monate nach Therapiebeginn deutliche Verbesserungen in allen erhobenen Gesundheits- und Lebensqualitätsparametern erreichten. Die Therapie war dabei mit einer Woche zwar verhältnismäßig kurz, aber mit 34 Behandlungsstunden sehr intensiv. Das Behandlungskonzept wurde anschließend mit einer ambulanten multimodalen Schmerztherapie längerfristig fortgeführt.

 

Eine andere Studie (A Zhuk et al.) zeigte, dass die Wirksamkeit der multimodalen Schmerztherapie bei chronischen Rückenschmerzen auch noch nach zehn Jahren gegeben war. Vor allem bei Patienten mit einem eher niedrigen Grad der Chronifizierung dürfte diese Therapieform langfristig die Schmerzintensität reduzieren. Ähnliche Ergebnisse hat auch die begleitende Evaluierung der in Klagenfurt angebotenen multimodalen Schmerztherapie erbracht.

 

Der Aufwand für ein multimodales Behandlungskonzept rechnet sich, wie auch vielfach belegt ist. Denn chronischen Schmerzpatienten wird durch die Therapie oft die Rückkehr ins Berufsleben ermöglicht. Längerfristig senkt sie die Zahl der schmerzbedingten Krankenstandstage und der Frühpensionierungen.

Die gemeinsame Diskussion von Expertinnen und Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz soll uns unserem Ziel ein Stück weit näherbringen, nämlich multiprofessionelle Hilfe für unsere Schmerzpatientinnen und -patienten,

so Tagungspräsident Prof. Herbert.

Dringender Aufholbedarf in Österreich

Trotz der sehr positiven Datenlagen bestehen in Österreich auf diesem Gebiet noch große Versorgungsdefizite.

Während in Deutschland eine nahezu flächendeckende Versorgung mit multimodaler Schmerztherapie besteht, fehlt es in Österreich an spezialisierten Einrichtungen, die komplexen Schmerzerkrankungen mit ganzheitlichen Strategien begegnen,

erklärt ÖSG-Präsidentin Dr. Grögl.

 

„Derzeit wird sie den internationalen Standards entsprechend nur im Zentrum für Interdisziplinäre Schmerztherapie am Klinikum Klagenfurt angeboten, wo das Programm zurzeit vom Kärntner Gesundheitsfonds und der Kärntner Gebietskrankenkasse finanziert wird und wo es viel versprechende Verhandlungen mit der Pensionsversicherungsanstalt gibt. Allerding bräuchten wir, um von einer einigermaßen flächendeckenden Versorgung sprechen zu können, ein vergleichbares Angebot in jedem Bundesland.“

 

Das Kongressprogramm finden Sie hier: http://www.achd-tagung.com/cms/

 

Quellen:

T. Reck, W. Dumat, J. Krebs, A. Ljutow: Ambulante multimodale Schmerztherapie. Ergebnisse eines 1‑wöchigen ambulanten intensiven multimodalen Gruppenprogramms für Patienten mit chronischen unspezifischen Rückenschmerzen – retrospektive Evaluation nach 3 und 12 Monaten. Der Schmerz. October 2017, Volume 31, Issue 5, pp 508–515;

A. Zhuk, M. Schiltenwolf, E. Neubauer: Langfristige Wirksamkeit einer multimodalen Schmerztherapie bei chronischen Rückenschmerzen. Der Nervenarzt. May 2018, Volume 89, Issue 5, pp 546–551

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