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Sexualhormone: Was wir über Östrogene & Co. wissen sollten

Sexualhormone: Was wir über Östrogene & Co. wissen sollten

CredoWeb im Interview mit Hormonexperten und Facharzt für Gynäkologie & Geburtshilfe Dr. med. Wolfgang Bartl

 

CredoWeb: Welche Sexualhormone gibt es und welche Rolle spielen diese im weiblichen Körper?

 

 

Dr. med. Wolfgang Bartl: Die Sexualhormone werden in drei Gruppen unterteilt:

 

·         Östrogene

·         Gestagene

·         Androgene

Alle drei bestimmen zahlreiche physiologische Prozesse im menschlichen Körper.

 

Alle Steroidhormone stammen aus dem Cholesterol und werden somit nicht ausschließlich in den Keimdrüsen (Eierstöcke oder Hoden) erzeugt, sondern auch in Synthesewegen aus dem Bereich des Fettstoffwechsels.

 

Bei der Frau steuern alle drei Steroidhormongruppen die Embryonalentwicklung, die Ausprägung des Phänotyps (=Menge aller Merkmale eines Organismus), die Steuerung des weiblichen Zyklus, den Fortpflanzungsprozess, das geschlechtsspezifische Verhalten und wichtige Vorgänge im Kohlenhydrat, Eiweiß und Fettstoffwechsel.

 

Eng verknüpft mit dem Sexualhormonmetabolismus ist der Kortisol-Stoffwechsel der Nebennierenrinde, der die Höhe der Steroidhormone im Organismus mit beeinflusst. Das zentrale Erfolgsorgan der Sexualhormone ist das menschliche Gehirn.

Hier ist nicht allein der Ausgangspunkt des weiblichen Zyklus zu sehen, sondern auch der Einfluss auf die Bildung endogener Opiate, des Katecholamin und des Dopamin-Stoffwechsels und somit der Blutdrucksteuerung.

 

 

 

CredoWeb: Was sind typische Symptome eines Hormonmangels dieser Art?



Dr. med. Wolfgang Bartl:

Ein primärer Hormonmangel führt zu schwersten Entwicklungsstörungen in der Embryo- und Fetogenese, später in Kindheit und Adoleszenz (=Endphase des Jugendalters).

 

Ursachen können entwicklungsbedingte Fehlanlagen der Keimdrüsen sein aber auch unter anderem forciertes körperliches Training wodurch die permanente Erhöhung der Kortison-Freisetzung als Stressfaktor die Sexualhormonspiegel im Blut reduziert und die sexuelle Entwicklung verzögert.

 

 

Während der reproduktiven Lebensphase kommt es bei Reduktion der Sexualhormone typischerweise zum Ausbleiben der Ovulation (= Eisprung) und der Menstruationsblutung.

Von großer klinischer Bedeutung ist die Auswirkung der Östrogene auf den Knochen und das Bindegewebe.

 

Die Steuerung der Osteoblasten (= Zellen, die für die Bildung von Knochengewebe beim Knochenumbau verantwortlich sind) und der Knochenmatrix wird genauso verändert wie die Verminderung des Aufbaues von Kollagen. Vermehrt Knochenbrüche resultieren, wie Verformungen und Schmerzen in kleinen Fingergelenken.

 

 

Östrogene und Gestagene zusammen wirken auf das Herz-Kreislaufsystem sowie das Renin-Angiotensin-System und regeln den Blutdruck mit.

 

Im Allgemeinen sind Hitzewallungen und Schweißausbrüche im Bereich des Brustkorbes für ein rasches Absinken der Sexualhormone im Blut typisch.

Auch der Fettstoffwechsel und der Zuckerstoffwechsel werden in vielfältiger Weise mit beeinflusst.

Durch Reduktion der Sexualhormone steigen bewiesenermaßen der Nüchternblutzuckerwert und der Cholesterinspiegel. Der „Schwimmreifen“ entsteht.

 

Zuletzt sei hier noch der Einfluss auf das Zentralnervensystem, sprich das Gehirn erwähnt. Nicht nur die Libido sinkt bei Hormonmangel, auch die kognitiven Fähigkeiten, die Gedächtnisleistung nimmt ab und das allgemeine Wohlbefinden sinkt.

 

Weniger wird die Auswirkung auf den Urogenitalbereich beachtet, aber eine Reizblase bis hin zur Inkontinenz und Imbalance der Scheidenflora sind auch typische Ausfallserscheinungen.

 

 

 

CredoWeb: Ist bei einem Mangel eine Hormontherapie unbedingt notwendig oder gibt es auch natürliche Methoden wie „frau“ die hormonelle Balance wiederherstellen kann?

 

 

Dr. med. Wolfgang Bartl:

Diese Frage muss jeder Mensch individuell für sich beantworten und hängt wesentlich von seiner Lebenseinstellung ab.

 

In der Adoleszenz sind physiologische Hormonspiegel notwendig zur Reifung des menschlichen Körpers.

Bei Kinderwunsch ist das Erreichen eines physiologischen Gleichgewichtes der Steroidhormone eine Grundnotwendigkeit, um einen Eisprung auszulösen und der Gebärmutter für die Einnistung der befruchteten Eizelle vorzubereiten.

 

 

Ab dem 4. Lebensjahrzehnt beginnt die Produktion an Gestagenen abzunehmen, ab dem 50. Lebensjahr auch die Produktion an Östrogenen. Hier hängt es vorwiegend vom Konstitutionstyp und der Lebensführung ab.

 

US-amerikanische Studien haben gezeigt, dass Anti-Aging mit hochdosierten Steroidhormonen auch nach dem 7. Lebensjahrzehnt möglich ist, jedoch äußerst risikobehaftet.

Die Verminderung der Sexualhormonspiegel ungebremst über sich laufen zu lassen bedeutet hingegen den Alterungsprozess von Körper und Geist ungebremst anzunehmen mit erhöhtem Risiko für Knochenbrüche, Bluthochdruck, Diabetes und depressiven Verstimmungen.

Die hormonelle Balance ist das entscheidende Kriterium für das Wohlbefinden beim Menschen.

 

Mit Sicherheit ist dies nicht an fixen Laborwerten von Östrogen, Progesteron und Testosteron im peripheren Blut zu beurteilen.

 

Es erfordert sehr viel Erfahrung und Einfühlungsvermögen jedes einzelnen Therapeuten hier eine individuelle Beratung zu geben.

 

Bei der Verwendung von Phytoöstrogenen (Pflanzenöstrogene) ist zu bedenken, dass 120mg Phytoöstrogen (therapeutisch wirksame Dosis) einem Milligramm Östradiol äquivalent sind.

Selbstverständlich gibt es auch andere Ernährungskonzepte die Pflanzenöstrogene enthalten, doch diese sind in unserem Kulturkreis weniger populär.

 

 

CredoWeb: Die Antibaby-Pille wird oft bei unregelmäßiger Periode oder Eierstockzysten verschrieben – wie lange kann man diese ohne Risiko für die Gesundheit einnehmen?

 

 

Dr. med. Wolfgang Bartl: Mitunter passiert es, dass ein Follikel in Zyklusmitte nicht platzt und die Eizelle freisetzt.

Es entwickelt sich eine sogenannte Zyste, die größer werden kann und verhindert, dass die Abbruchsblutung planmäßig einsetzt. Der Zustand ähnelt einer Scheinschwangerschaft.

 

 

Zur Prophylaxe ist, wenn kein Kinderwunsch besteht bei jungen Frauen, eine Kombinationspille sicher eine sinnvolle Maßnahme.

 

Bei unregelmäßiger Periode alleine sollte eine Kombinationspille erst eingesetzt werden, wenn die Schwankungsbreite das Normintervall von 21-35 Tagen übersteigt.

Viel zweckdienlicher ist die Behandlung von starken Regelbeschwerden mit der Pille, immer vorausgesetzt es besteht kein Kinderwunsch.

 

Die Einnahmedauer hängt sehr von der Pillenzusammensetzung, dem Lebensalter der Frau und ihren Risikofaktoren ab und ist nur individuell entscheidbar.

 

Generell kann man sagen, dass zur Behandlung zur Zyklusstörungen und Regelproblemen immer eine Kombinationspille gegeben werden sollte. Die Kombinationspille bestehen überwiegend aus dem synthetischen Ethinylestradiol (EE) und einem Gestagen, wobei Levonorgestrel (LNG), das nachgewiesenermaßen niedrigste Thromboserisiko hat.

 

Bei Frauen unter 20 Jahren ist immer 30 Mikrogramm EE zu wählen, um den Aufbau der Knochensubstanz nicht zu bremsen. Danach sollte auf 15-20 Mikrogramm EE reduziert werden.

In Sonderfällen kann eine reine Progesteronpille zum Einsatz kommen, allerdings nicht bei Frauen unter 20 Jahren.

Allgemein gilt: Rauchen und Pille verträgt sich nicht!

Nikotin beeinträchtigt den ovariellen Regelkreis und schädigt direkt die Eierstöcke.

 

Auch die Pille unterdrückt den ovariellen Regelkreis.
Bei Raucherinnen sollte ab 30 Jahren die Beendigung der Pillenmedikation in Erwägung gezogen werden, bei Nichtraucherinnen ab 40 Jahren.
Nur in Ausnahmefällen kann bis 50 die Pille eingesetzt werden, wenn eine therapeutische Indikation besteht.

 

 

CredoWeb: Pro und Kontra einer Hormontherapie in den Wechseljahren - wie ist Ihre Meinung dazu?

 

 

Dr. med. Wolfgang Bartl: Im angloamerikanischem Kulturkreis sprechen wir von hormon replacement therapie (= Hormonersatz- oder Austauschtherapie), eine wesentlich zutreffendere Bezeichnung.

 

Therapie inkludiert immer die Behandlung einer Erkrankung. Diese liegt vor, wenn der Gesundheitszustand wesentlich beeinträchtigt ist.

 

Was für Erkrankungsbilder treten aber aufgrund eines Sexualsteroidhormonmangels ein?

 

 

·         Knochenbrüche durch vorzeitigen Schwund an Knochengewebes und Gelenksbeschwerden,

·         Vorzeitige schwere Alterung der Haut und des Bindegewebes im Urogenitalbereich,

·         Störungen im Fett und Zuckerstoffwechsel,

·         Schwerer Libidomangel,

·         Vasomotorische Beschwerden wie Wallungen und Schwitzen,

·         Zentralnervöse Störungen mit Abbau der kognitiven Leistung,

 

um nur ein kleines Spektrum aufzuzeigen.

 

Bei all diesen Erkrankungen gibt es viele Therapiekonzepte, keines ist perfekt.

 

Aber warum muss man es bis zum Vollbild einer Erkrankung kommen lassen?

 

Wir kennen zum Großteil bereits die biologischen Steuermechanismen unseres Körpers und können gegensteuern bevor eine Erkrankung eintritt.

Ab dem 40. Lebensjahr reduziert der weibliche Körper die Progesteron-Erzeugung, ab dem 50. die Östrogenerzeugung. Warum? Da wir von unserer Entwicklungsgeschichte her bestenfalls für 5 Lebensjahrzehnte ausgelegt wurden.

 

Durch die verbesserten Lebensbedingungen ist unser Lebensalter um gut 3 Jahrzehnte gestiegen.

In welchem Zustand aber wir diese zusätzliche Zeitspanne durchleben wollen hängt ganz von uns ab.

Es geht nicht um die ewige Jugend, aber um Fitness im Alter!

 

Und hier kann bereits im 4. Lebensjahrzehnt die Weiche gestellt werden zur Aktivität oder Inaktivität.

Der Zug in Richtung Aktivität heißt aber nicht: Täglich meine Hormontabletten, diese können auch in den vorzeitigen Tod führen.

 

Vielmehr bedeutet es, auf die jeweiligen biologischen Alterungsprozesse angepasst das Defizit auszugleichen, das unserm Körper bis ins höhere Lebensalter nicht fit erhalten würde.

 

 

Interview: Christina Neumayer

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