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Coronakrise als Chance für mehr Achtsamkeit im Alltag

Coronakrise als Chance für mehr Achtsamkeit im Alltag

Ein Interview mit Psychologin & Achtsamkeits-Trainerin Mag. Birgit Strasser aus Wien

 

CredoWeb: Was genau versteht man unter dem Begriff „Achtsamkeit“?

 

Mag. Birgit Strasser:

Unter „Achtsamkeit“ versteht man, dass man die eigene Aufmerksamkeit ganz bewusst & absichtsvoll zum gegenwärtigen Moment lenkt und dabei eine innere Haltung von Offenheit & Akzeptanz einnimmt.

 
Im Alltag sind wir jedoch sehr häufig in Gedanken verstrickt und mit unserer Aufmerksamkeit in der Vergangenheit oder Zukunft verhaftet, anstatt im Hier & Jetzt (mit mir und meiner Umwelt in Kontakt) zu sein.

 

 

CredoWeb: Wie kann uns Achtsamkeit bei der Angst- und Krisenbewältigung helfen?

 

Mag. Birgit Strasser:

 

Ängste sind Teil unseres menschlichen Lebens. Unser Gehirn arbeitet nach dem Prinzip, das Bekanntes beruhigend wirkt, während Unbekanntes mit Gefahren assoziiert wird.

 

So ist es verständlich, dass wir aufgrund der Corona-Pandemie (einer für uns völlig neuen & unbekannten Situation) Stress erleben und, durch den damit einhergehenden Kontrollverlust, Ängste auftauchen oder sich verstärken.

 

Ängste sollten, wie alle schwierigen Gefühle, weder verdrängt noch weggeschoben, sondern wahrgenommen werden.

 

Sich im Sinne der Achtsamkeit mit Freundlichkeit & Mitgefühl diesen herausfordernden Gefühlen zuzuwenden, sie zu benennen („Da ist Angst“) und erforschen („Wo & wie spüre ich dieses Gefühl im Körper?“) kann ein erster hilfreicher Schritt im Umgang mit Ängsten sein.

 

Sie also anzunehmen und nicht mit zusätzlichen Gedanken zu „füttern“, ermöglicht uns sie anschließend auch wieder ziehen zu lassen.

„Feel what you need to feel and then let it go. Do not let it consume you. “

 

In Situationen der Verunsicherung ist es hilfreich vorerst Ruhe zu bewahren. Dies gelingt uns, wenn wir vom Denkmodus, indem sich unser Geist nicht selten Horrorszenarien ausmalt, in den Spürmodus wechseln und uns mittels einer bewussten Atmung im Körper verankern.

 

Die momentanen Begebenheiten (zB Ausgangsbeschränkungen) anzunehmen & zu akzeptieren, sowie Informationen zu persönlichen Handlungsmöglichkeiten (z.B. Kontakte reduzieren, Hände waschen, Zuhause bleiben, etc.) einzuholen, ist ebenso wichtig, da wir uns dann als „aktive Akteure“ erleben und einen Beitrag zu einer erfolgreichen Bewältigung leisten können.

 

 

CredoWeb: Sehen Sie die Coronakrise auch ein bisschen als Chance, um mehr Achtsamkeit ins Leben zu holen?

 

Mag. Birgit Strasser: Ja, auf jeden Fall!

 

Achtsamkeit zu leben bedeutet, den eigenen Aufmerksamkeitsfocus auch auf Bereiche zu richten, die gut funktionieren oder sich durch die Krise vielleicht sogar positiv verändert haben wie zB

 

  • die Möglichkeit zur Entschleunigung,
  • des Bei-sich-Seins oder
  • mehr Zeit mit der Familie zu haben.

 

 

Die Wahrnehmung positiver Ereignisse zu kultivieren, kann man lernen und ist eine Fähigkeit, die uns stärkt und leichter mit Herausforderungen umgehen lässt.

So macht es Sinn bewusst den eigenen Blick für ALLE Facetten im Hier & Jetzt zu öffnen und kleine Freuden bewusst wahrzunehmen & wertzuschätzen.

In dieser Krisenzeit hilft uns Achtsamkeit Neues und die damit verbundene Verunsicherung anzunehmen, den eigenen Blick zu weiten, die Chance für  gesellschaftliche Weiterentwicklung zu erkennen, um einen konstruktiven & heilsamen Umgang zu finden.

 

Dies erfordert bewusstes & weises Agieren statt eines automatischen Reagierens.

 

Im konkreten bedeutet das zu erkennen, dass ich als Einzelperson mit meinem Verhalten Verantwortung für unsere menschliche Gemeinschaft übernehmen kann.

 

 

So glaube & hoffe ich persönlich, dass Strategien & Sichtweisen, die wir uns in herausfordernden Situationen angeeignet haben, auch in der Zukunft beibehalten werden und so Achtsamkeit im Leben nach der Coronakrise eine größere Bedeutung zukommt. 

 

 

CredoWeb: TIPPS: Bitte geben Sie uns einige Übungen & Tipps, welche wir zuhause leicht nachmachen können!

 

Mag. Birgit Strasser:

Im Sinne der drei Säulen der Gesundheitsförderung ist es gerade jetzt wichtig für gesunde Ernährung, tägliche Bewegung an der frischen Luft & meine psychische Gesundheit zu sorgen.

Selbstfürsorge, wird oft im Trubel des Alltags vernachlässigt, bekommt aber in Krisenzeiten einen besonderen Stellenwert.

Damit ist gemeint, einen vertrauten, strukturgebenden Tages-Rhythmus aufrecht zu erhalten, eigene Bedürfnisse & Grenzen wahrzunehmen und zu respektieren und immer wieder für Entspannung zu sorgen (zB in Form von Yoga-Übungen mittels Videoanleitungen, Meditationen mit Hilfe einer Meditations-App, Gesprächen mit Freunden per Telefon, etc.).

 

 

Weitere Tipps für Zuhause, die nicht nur jetzt gut geeignet sind, um Achtsamkeit zum fixen Bestandteil im Alltag zu machen, sind:

 

Atembeobachtung:

Die Atembeobachtung unterstützt uns dabei innezuhalten, im Moment zu sein und ablenkende Gedanken ziehen zu lassen.

Durch die Fokussierung auf den Atem, wandert die Aufmerksamkeit automatisch vom Denken zum Spüren des Körpers.
 

Es geht weniger darum den Atem zu kontrollieren oder zu verändern, sondern darum, ihn zu beobachten und mit ihm in Kontakt zu sein. Bei der Atembeobachtung üben wir die Aufmerksamkeit zu stabilisieren und uns im gegenwärtigen Moment zu verankern.

 

 

Blitz-Body Scan

 

Beim sogenannten Blitz-Body Scan richtet man die Aufmerksamkeit auf die Körperwahrnehmung.

 

Es geht darum

 

  • die eigene Körperhaltung,
  • die Gewichtsverteilung des Körpers,
  • die einzelnen Körperteile,
  • körperliche Bedürfnisse,
  • mögliche Spannungen,
  • aber auch die Verbundenheit der Füße mit dem Boden

 

wahrzunehmen.

 

 

Im Anschluss kann man bei Bedarf die Haltung korrigieren oder mögliche Spannungen mit einem achtsamen Ausatmen loslassen.

 

Routinetätigkeiten achtsam ausführen

 

Routinetätigkeiten achtsam ausführen bedeutet alltägliche Aktivitäten, wie Zähne putzen, abwaschen, kochen etc. bewusst mit allen Sinnen achtsam wahrzunehmen und die Aufmerksamkeit auf die Tätigkeiten selbst zu richten.

 

Routinierte Abläufe mit Anfängergeist wahrnehmen, lässt uns einerseits Neues im Bekannten entdecken und andererseits bisher automatisches Handeln wieder bewusst erleben.

 

CredoWeb: Was möchten Sie den Menschen zuhause noch gerne als Botschaft mitgeben?

 

Mag. Birgit Strasser:

„Good things can still happen in the midst of chaos. “

 

Veränderungen, so unvorhergesehen & erschreckend sie auf uns zukommen, bieten auch immer eine Möglichkeit zur Neuorientierung & Weiterentwicklung.

 

Sie ermöglichen uns

 

  • Innezuhalten,
  • sich bewusst Zeit für Reflexion zu nehmen („Was ist mir wirklich wichtig in meinem Leben?“),
  • Altes loszulassen,
  • Neues reinzulassen und
  • Transformation zuzulassen,

 

sowie Werte, wie Dankbarkeit, Verbundenheit, Zuversicht und Vertrauen zu kultivieren - denn unsere Zukunft beginnt im Kopf!

 

 

Interview: Christina Neumayer/CredoWeb

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