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COVID-19 Antikörper-Tests: Fluch oder Segen?

COVID-19 Antikörper-Tests: Fluch oder Segen?

Ein Experteninterview mit Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Lukas Weseslindtner. Er ist Virologe am Zentrum für Virologie an der MedUni Wien und wurde von der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten und der Gesellschaft für Virologie mit dem Wissenschaftspreis in der Kategorie „Klinische Virologie“ ausgezeichnet.

CredoWeb: Wie und wann erfolgt eine Antikörper-Bildung im Körper nach einer SARS-CoV-2-Infektion?

 

Weseslindtner: Antikörper werden gebildet, wenn B-Zellen (bestimmte Immunzellen) ganz bestimmte Virusbestandteile mit ihren spezifischen Rezeptoren erkennen. Zuerst produzieren die B-Zellen dann Antikörper der Immunglobulinklasse M (IgM).


Bei einer zusätzlichen, doppelten Erkennung von viralen Antigenen durch T-Zellen, bewirken diese daraufhin bei B-Zellen den Wechsel der Immunglobulinklasse. Dadurch kommt es in der Folge zur Produktion von virusspezifischen IgA und IgG.

 

Da SARS-CoV-2 für unser Immunsystem ganz neu ist, müssen Antikörper erst von naiven B-Zellen gebildet werden (bei einer Erstinfektion gibt es nach derzeitigem Wissensstand keine Antwort von Gedächtniszellen früherer Infektionen). Deshalb werden Antikörper (IgM und IgA) frühestens 5-7 Tage nach Symptombeginn nachweisbar.


 

CredoWeb: Welche Rolle spielen jeweils die IgM-, IgG- und IgA-Antikörper bei einer SARS-CoV-2-Infektion?

 

Weseslindtner:

 

IgM Antikörper haben scheinbar bereits eine erste neutralisierende Wirkung.

IgA sind Antikörper, die über Sekrete abgegeben werden und daher bei einer Infektion des Respirationstraktes eine wichtige Rolle spielen.

Durch eine Erhöhung ihrer Bindungsstärke und dadurch, dass sie typischerweise noch lange nach der Infektion gebildet werden, bewirken IgG Antikörper normalerweise in fortgeschrittenen Infektionsstadien und nach der Rekonvaleszenz unter Anderem die Hemmung der Virusreplikation. In der virologischen Diagnostik kann man über den Nachweis verschiedener Immunglobulinklassen den Infektionszeitpunkt ungefähr einschätzen.     

 

CredoWeb: Wie sieht die Struktur des neuartigen Virus eigentlich genau aus?

 

Weseslindtner:

SARS-CoV-2 gehört zur Gattung Betacoronavirus der Familie der Coronaviridae. Als solches ist ein behülltes RNA Virus. Auf der Hülle befinden sich sogenannte Spikes („Spitzen“ oder „Stacheln“), die dem Virus das kronenartige Aussehen geben (Corona).


Das Spikeprotein besitzt mehrere Untereinheiten (S1 und S2), die bei der Bindung an den Rezeptor der Zielzelle und beim Eindringen in diese eine entscheidende Rolle spielen.     


 

CredoWeb: Was lässt sich mit den neuen Neutralisationstests feststellen und worin liegt der Unterschied zu den bisherigen Tests?

 

Weseslindtner:

Mit diesen Tests weist man genau jene Antikörper nach, die das Eindringen des Virus in die Zielzellen verhindern.

 

Da diese Antikörper ganz genau an jener Stelle binden, an denen der erste Kontakt zwischen Virus und Zelle stattfindet (Receptor Binding Domain, ein kleiner Teil des S1 Proteins), misst man also Antikörper, die spezifisch gegen SARS-CoV-2 und nicht gegen andere Viren gerichtet sind.

Im Gegensatz dazu beinhalten Tests, wie z.B. ELISAs gröbere Virusbestandteile (z.B. das gesamte S1 Protein). Hier kann es leichter zur unspezifischen Reaktion und damit zu falsch-positiven Ergebnissen kommen.    

 


 

CredoWeb: Wann hat man das Ergebnis und wie sicher ist es?

 

Weseslindtner:

Die Auswertung des Tests dauert 2-3 Tage, da in einer Zellkultur beobachtet werden muss, ob die in der Probe vermeintlich vorhandenen Antikörper tatsächlich zur Hemmung der Virusvermehrung führen.


Der Neutralisationstests, den wir an unserem Zentrum verwenden, hat auch im Vergleich zu kommerziellen Tests eine ausgesprochen hohe Sensitivität. Aus den erwähnten Gründen besitzt er eine nahezu 100%ige Spezifität. Für die Frage, ob jemand die Infektion bereits durchgemacht hat, ist er also optimal geeignet.

 

CredoWeb: Was ist der Nutzen der Antiköper-Diagnostik?

 

Weseslindtner: Zum einen kann über die Antikörperdiagnostik eine durchgemachte Infektion, unabhängig von den dabei aufgetretenen Symptomen, nachweisen. Es lassen sich also auch jene Personen identifizieren, die die Infektion asymptomatisch durchgemacht haben.

 

Ob das Durchmachen der SARS-CoV-2-Infektion zur vollständigen und anhaltenden Immunität gegen dieses Virus führt, ist nach derzeitigem Wissensstand allerdings nicht klar.

 

Die andere Einsatzmöglichkeit besteht im Beitrag der Antikörperdiagnostik zu korrekten Diagnose einer akuten COVID-19-Erkrankung.

 

Im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf kommt es nämlich bei einigen Patienten zur Abnahme der Viruskonzentration im oberen Rachen, was die Aussagekraft von PCR-basierten Methoden aus Rachenabstrichen mindert.

 

Da im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf in der Regel aber schon Antikörper in ausreichender Menge gebildet werden, kann die Antikörpermessung in diesen Fällen helfen, die Diagnose zu sichern.     

 

CredoWeb: Was sind die Nachteile?

 

Weseslindtner:

Nachteile entstehen dann, wenn ein Testergebnis falsch beurteilt wird. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Möglichkeit von falsch-positiven Ergebnissen. Würde jemand bei einem falsch-positiven Ergebnis, in der irrigen Meinung, es bestünde nun Immunität, jegliche Schutzmaßnahmen außer Acht lassen (und z.B. keine Maske mehr tragen), könnte für das Individuum und auch gesundheitspolitisch großer Schaden entstehen. 


 

CredoWeb: Wer sollte getestet werden bzw. wer sollte sich testen lassen?

 

Weseslindtner:

Da wir derzeit nicht sicher wissen, ob selbst ein richtig-positiver Antikörpertest tatsächlich mit einer anhaltenden Immunität korreliert, ist es meiner Meinung nach für ein großflächiges Durchtesten der gesamten Bevölkerung noch zu früh.

 

Für Studien gilt das natürlich nicht.

Im Rahmen von Seroprävalenzstudien können uns Antikörpertests sehr wohl helfen, die Geschwindigkeit, mit der sich das Virus im Lauf der Pandemie ausbreitet, zu messen.   

 


 

CredoWeb: Wo und ab wann kann ich mich testen lassen & werden die Kosten von der Krankenkasse übernommen? Wie hoch sind die Kosten, wenn ich den Test selbst bezahle?

 

Weseslindtner: Bei der dringenden Frage nach einer durchgemachten Infektion, besteht an unserem Zentrum nach vorheriger Terminvereinbarung, die Möglichkeit für eine Blutabnahme zwecks Testung mittels Neutralisationstest.

 

Kontaktdaten: Zentrum für Virologie, Medizinische Universität Wien, E-Mail: virologie@meduniwien.ac.at

Die Kosten dafür betragen 98 Euro und werden von der Krankenkasse nicht übernommen.

 

Interview: Christina Neumayer/CredoWeb

Interview zum Vortrag beim GIFTIGEN LIVESTREAM zum Thema "COVID-19 Hot-Topics" vom 14.05.2020 veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Infektiologie und Tropenmedizin (ÖGIT) unter der Moderation von Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer.

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