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Eisenmangel bei Infektionskrankheiten eventuell von Vorteil?

Eisenmangel bei Infektionskrankheiten eventuell von Vorteil?


Ein Experteninterview mit Universitätsprofessor Dr. Günter Weiss aus Innsbruck. Dr. Weiss ist nicht nur der geschäftsführende Direktor des Departments für Innere Medizin an der MedUni Innsbruck, sondern auch Facharzt für Innere Medizin, internistische Intensivmedizin, Rheumatologie & Infektiologie und Tropenmedizin.

 

CredoWeb: Welche Aufgabe hat Eisen in unserem Immunsystem?

 

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss:

Eisen spielt für viele Stoffwechselprozesse eine zentrale Rolle. Alle wachsenden und aktiven Zellen brauchen Eisen.

 

Wenn man einen Eisenmangel hat, kommt es zu einer eingeschränkten Proliferation (= Wachstum bzw. Vermehrung oder Wucherung von Zellen oder Mikroorganismen) und Differenzierung (= Spezialisierung von Zellen) von Immunzellen und damit auch zu einer schlechteren Immunität.

Andererseits kommt es bei einem Eisenüberschuss zur Bildung von toxischen Hydroxylradikalen. Das kann mitunter eine Schädigung von Immunzellen verursachen.

 

Ein hoher Eisenspiegel hat außerdem einen negativen Effekt auf die Immunantwort, vor allem von Makrophagen (= Zellen des Immunsystems) oder von neutrophilen Granulozyten (= Untergruppe der weißen Blutkörperchen) d.h. man braucht einen sehr gut balancierten Eisenspiegel, um das Immunsystem stabil zu halten.

 

 

CredoWeb: Welche Laborwerte werden benötigt, um den Eisenstatus zu bestimmen?

 

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss: Um den Eisenstatus abzuklären, ist es sinnvoll, sich folgende Parameter anzusehen:

 

  • Hämoglobin (Hb) im Blutbild: Farbstoff der roten Blutkörperchen; eisenhaltiger Proteinkomplex, welcher den Sauerstofftransport im Körper ermöglicht;
  • Ferritin: Speicherstoff für Eisen im Körper;
  • Transferrin: Für den Eisentransport verantwortlich;
  • Eisen

 

Daraus kann die Transferrin-Sättigung als gemeinsamer Parameter errechnet werden.

 

CredoWeb: Was passiert bei einem Eisenmangel in unserem Körper?

 

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss: Bei einem Eisenmangel ohne Anämie kommt es zu einer Einschränkung der Mitochondrien-Funktion d.h. es kommt zu einer eingeschränkten oxidativen Phosphorylierung (= metabolischer Prozess in Zellen, über welchen ATP unter Verbrauch von Sauerstoff erzeugt wird) und einer eingeschränkten Sauerstoffausschöpfung.

 

Dadurch kommt es zu einer Restriktion des Metabolismus (= Stoffwechsel) im Körper.



Die Symptome sind:

 

  • Müdigkeit
  • Abgespanntheit
  • reduzierte kardiovaskuläre Leistungsfähigkeit

Bei einem vermehrten Eisenmangel mit entsprechender Anämie nimmt auch die Sauerstofftransportkapazität ab. Desto ausgeprägter die Anämie, desto ausgeprägter die Leistungseinschränkung.

 

CredoWeb: Macht ein Eisenüberschuss auch Beschwerden? Wenn ja, welche?

 

 

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss: Interessanterweise gibt es hier sogenannte genetische Eisenüberladungssymptome. Patienten berichten, dass sie sich oft müde fühlen, obwohl sie zu viel Eisen im Körper haben.

 

Wir haben dies wissenschaftlich abgeklärt: Wenn man zu viel Eisen im Körper hat, werden in den Mitochondrien Sauerstoffradikale produziert und dadurch kommt es zu einer Einschränkung der Mitochondrien-Funktion.

 

Interessant ist, dass man bei einem länger andauernden Eisenüberschuss das gleiche Szenario hat, wie bei einem Eisenmangel, nämlich eine eingeschränkte Mitochondrien-Funktion.

 

Deswegen fühlen sich viele Personen mit einer Hämochromatose (= Eisenspeicherkrankheit) müde und abgeschlagen. Später kommen noch andere Probleme aufgrund der Eisenüberladung hinzu.

 

CredoWeb: Was hat man im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten diesbezüglich herausgefunden?

 

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss:

 

Eisen ist nicht nur für uns wichtig, sondern auch für alle Mikroben (= Mikroorganismen wie zB Bakterien, Viren und Pilze).

Diese brauchen Eisen genauso wie wir für Stoffwechselprozesse, für das Wachstum und für die Proliferation.

D.h. alle Mikroben sind extrem auf Eisen angewiesen.

Wenn sie in unseren Körper eindringen, seien dies Bakterien oder Viren, versuchen sie Eisen an sich zu reißen und dadurch ihr Wachstum zu fördern.

 

Umgekehrt versucht der Körper durch verschiedene Immunabwehrstrategien das Eisen von diesen Mikroben fern zu halten. Dadurch kommt es zu einer Eisenspeicherung in den Makrophagen und eben zu einer Anämie, wo sich wenig Eisen in der Zirkulation befindet und so auch das Wachstum für Mikroben entsprechend eingeschränkt ist.

Dies wird als Nutritional Immunity bzw. Nahrungsbedingte Immunität bezeichnet, indem den Mikroben wichtige Mikronährstoffe entzogen werden.

 

 

Wissenswert ist, was passiert, wenn ich Personen Eisen verabreiche, die in einem Gebiet wohnen, wo es viele Infektionen gibt. Hierzu gibt es einige spannende Studien.

 

 

Es gibt zB eine Studie, welche von der WHO (= World Health Organisation) in Afrika und Südostasien (Pakistan und Indien) diesbezüglich durchgeführt wurde.

 

Gerade in diesen tropischen Ländern gibt es das Problem, dass die Ernährung der Kinder oft nicht optimal bzw. katastrophal schlecht ist. Viele Kinder haben einen Eisenmangel. Dies geht oft mit eingeschränktem Wachstum und einer eingeschränkten Entwicklung des Zentralnervensystems einher.

Die WHO hat deshalb versucht, dies zu beheben, indem man in den Nahrungsmitteln zusätzliches Eisen in Form eines Eisenpulvers supplementiert hat.

 

Nach einiger Zeit hat man jedoch gesehen, dass mehr Kinder gestorben sind, welche Eisen erhalten haben, als die Kinder, die kein zusätzliches Eisen bekommen haben.

Der Grund dafür war, dass sich diese Kinder häufiger mit Infektionskrankheiten wie zB Malaria oder schwere bakterielle Infektionen infiziert haben, wie die anderen.

D.h. in einem Gebiet wo man viele Infektionen hat, ist eine Eisensupplementierung entsprechend risikobehaftet.

 

Das was wir noch nicht wissen ist, welche Kinder hier besonders betroffen sind:

 

  • Sind es die Kinder, die einen schweren Eisenmangel und dadurch ein schlechtes Immunsystem haben? Und wenn man hier Eisen verabreicht, freuen sich sozusagen die Mikroben und können besser wachsen?
  • Oder sind es vielleicht die Kinder, die eigentlich gar keinen Eisenmangel haben und wenn man hier Eisen supplementiert, können sie das Eisen nicht richtig verwerten?

 

Dies versuchen wir derzeit in einer Forschungskooperation mit dem Albert Schweizer Institut experimentell aufzuklären.

 

 

Noch eine äußerst interessante Beobachtungsstudie zu diesem Thema wurde in Tansania durchgeführt.

 

Hier hat man bei der Geburt, Kinder auf einen Eisenmangel untersucht. Weiters wurde nichts gemacht - die Kinder wurden 2 Jahre lang nur beobachtet.

Was man hier herausgefunden hat ist, dass Kinder, die bei der Geburt einen leichten Eisenmangel gehabt haben, weniger häufig an Malaria erkrankt sind und weniger häufig schwere Malaria bekommen haben. Die Überlebenswahrscheinlichkeit von Kindern mit einem Eisenmangel nach dem 2. Lebensjahr war 4 x so hoch, als bei denjenigen ohne einen Eisenmangel.

 

Deswegen ist die unkritische Eisengabe in Gebieten, wo es viele Infektionen gibt etwas, was durchaus problematisch sein kann.

 

 

CredoWeb: Haben COVID-19-Patienten bei Diagnosestellung einen veränderten Eisenstatus?

 

 

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss:

 

Ja, bei der Krankenhausaufnahme haben 90% der COVID-19-Patienten einen veränderten Eisenstoffwechsel. Ungefähr 25% davon sind anämisch.

 

Wir haben uns aber nur die Patienten angeschaut, die hospitalisiert sind, sprich diejenigen, mit einem schweren Verlauf.

Das was wir herausgefunden haben ist, dass dieser veränderte Eisenstatus mit dem erhöhten Risiko verbunden ist, dass die Patienten auf die Intensivstation müssen oder auch eine invasive Beatmung benötigen.

Der veränderte Eisenstatus ist jedoch nicht mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert.

 

CredoWeb: Glauben Sie, dass diesbezüglich ein Eisenmangel sogar von Vorteil sein kann?

 

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss: Das kann ich von diesen Daten leider nicht ableiten.

Hier müssen wir eine populationsbasierte Studie machen, wo man die niedergelassenen Kollegen mitbefragen muss. Wir müssen uns bei allen Erkrankten anschauen, ob ein Eisenstatus im letzten Jahr gemacht wurde.

 

Ansonsten wissen wir nicht, wie der Eisenspiegel vor der Infektion der Betroffenen war.

 

Wir versuchen aus diesem Grund derzeit die Patienten, die keinen schweren Verlauf hatten, nochmal auf die Klinik einzuladen. Dies gestaltet sich jedoch aufgrund der Auflagen des Datenschutzes logistisch äußerst schwierig.

 

 

Interview: Christina Neumayer/CredoWeb

 

Vortrag "EISEN UND IMMUNSYSTEM" bei der Live-Übertragung: COVID-19: Immunmodulatorische Prophylaxe- und Therapieansätze vom 03.06.2020 veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Infektiologie und Tropenmedizin (ÖGIT) unter der Moderation von Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer.

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