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Was wir bisher über COVID-19 im Zusammenhang mit Kindern wissen

Was wir bisher über COVID-19 im Zusammenhang mit Kindern wissen


Ein Experteninterview mit Dr. med. Florian Götzinger, PGD PID, DTM aus Wien. Dr. Götzinger ist Facharzt für Pädiatrie sowie Tropenmediziner und arbeitet derzeit an der Klinik Ottakring in der Abteilung für Kinderinfektiologie. Er absolvierte seine Ausbildung in Wien, Oxford und London & leitete unlängst eine europaweite COVID-19-Studie, welche sich anbei als PDF-Datei zur Ansicht befindet.

 

CredoWeb: Was sind die häufigsten Symptome bei Kindern, die sich mit COVID-19 infiziert haben?

 

 

Dr. med. Florian Götzinger:

 

Die häufigsten Symptome bei Kindern sind in der Regel auch die bekannte Trias von Fieber, Husten und Kurzatmigkeit, wobei die typischen Symptome generell etwas seltener vorkommen, als bei Erwachsenen.

 

Wenn man sich die Prozentzahlen in unterschiedlichen Arbeiten ansieht, dann haben etwas über 50% aller Kinder mit COVID-19 Fieber, die Erwachsenen hingegen um die 70%.

Husten kommt bei Kindern ebenso zwischen 50 und 60% und bei den Erwachsenen bei 80% der Betroffenen vor.

Die Kurzatmigkeit ist bei den Kindern von geringerer Bedeutung und liegt nur bei ungefähr 15%. Bei den Erwachsenen leiden jedoch 40-50% an Kurzatmigkeit. Viele Kinder zeigen auch nur Symptome eines oberen Atemwegsinfekts, also Schnupfen oder Halsschmerzen.

Diese Zahlen geben uns in etwa eine Idee, worin hier die Unterschiede liegen.

Kinder haben zusätzlich in ca. 20% gastrointestinale Beschwerden, was ähnlich wie bei den Erwachsenen ist. Bei den Kindern ist es jedoch so, dass manche Kinder NUR an gastrointestinalen Beschwerden wie Durchfall, Erbrechen und Übelkeit im Rahmen einer COVID-19-Infektion leiden.

 

Was wir noch gesehen haben ist, dass bei Jugendlichen Geruchs- und Geschmacksverwirrungen recht häufig vorkommen, diese aber auch wieder abklingen. Bei den kleinen Kindern können wir das natürlich nicht genau sagen, weil es schwerer bis gar nicht zu erfragen ist. Es scheint jedoch seltener bei Kindern vorzukommen als bei Jugendlichen und Erwachsenen.


 

CredoWeb: Gab/gibt es bei Kindern auch schwere Verläufe, sodass sie auf die Intensivstation mussten oder eventuell sogar beatmet werden mussten?

 

 

Dr. med. Florian Götzinger: Ja, hierzu gibt es unterschiedlich Studien.

 

Ich durfte selbst eine Studie in in Zusammenarbeit mit mehreren europäischen Zentren leiten (Studie als PDF anbei), in die wir 582 Kinder einschließen konnten. Bei dieser Studie haben wir gesehen, dass 8,3% der Kinder auf die Intensivstation mussten und insgesamt 13% von ihnen mit Sauerstoff versorgt werden mussten. 4% der Kinder mussten intubiert (= künstlich beatmet) werden.

Man muss jedoch unbedingt berücksichtigen, dass es sich um eine spitalsbasierte Studie handelt und hauptsächlich die Kinder beschreibt,  die so krank waren, dass sie ins Spital mussten. D.h. wahrscheinlich ist die Zahl der kritisch kranken Kinder insgesamt deutlich geringer.

 

CredoWeb: Ist es so, dass Kinder mit schweren Verläufen Vorerkrankungen hatten/haben. Wenn ja, welche?

 

 

Dr. med. Florian Götzinger: Sowie bei den Erwachsenen haben auch Kinder mit bestimmten Grunderkrankungen, ein höheres Risiko schwerer zu erkranken.

 

 

In unserer Studie waren das hauptsächlich Kinder mit

 

  • chronischen Lungenerkrankungen,
  • angeborenen Herzfehlern,
  • Kinder, die an Krebs erkrankt sind oder auch
  • Kinder mit schweren neurologischen Defiziten.

 


CredoWeb: Wie sieht die Therapie bei infizierten Kindern aus?

 

 

Dr. med. Florian Götzinger: Prinzipiell erhalten Kinder, wie auch die Erwachsenen, eine supportive Therapie, weil noch keine wirklich efektive Therapie speziell für COVID-19 etabliert werden konnte. Es gibt diesbezüglich auch noch keine Ergebnisse groß angelegter Studien.

 

Als vielversprechendstes Präparat bei Kindern, wenn sie sehr schwer erkrankt sind und eine supportive Therapie nicht ausreichend ist, dürfte sich REMDESIVIR als der geeignetste Kandidat herauskristallisieren.

 

Kortikosteroide können zusätzlich verwendet werden. Zu diesen beiden Therapiemöglichkeiten gibt es schon vielversprechende erste Daten, dass sie bei COVID-19 positive Wirkung zeigen.

 

Hydroxychloroquin hat sich leider nicht so bewährt, wie man anfangs gehofft hatte. Der aus der HIV Therapie bekannte Proteaseinhibitor Ritonavir-Lopinavir hat bezüglich SARS-CoV-2 keine Wirksamkeit gezeigt.

 

CredoWeb: Wie viele Kinder sind bzw. waren tatsächlich mit SARS-CoV-2 infiziert?

 

 

Dr. med. Florian Götzinger:

 

Das ist generell sehr schwer zu sagen, da die meisten Kinder oligosymptomatisch bzw. asymptomatisch sind, sodass sie gar nicht mit dem Gesundheitssystem wegen COVID-19 in Kontakt waren geschweige denn jemals getestet wurden.

 

Wenn man sich hierzu die EMS-Daten (Epidemiologisches Meldesystem) ansieht, sind es in Österreich insgesamt 923 Kinder unter 14 Jahren (insgesamt in Österreich getestet: 19.922), die auf das Virus positiv getestet wurden.

 

Bei den über 14 jährigen Jugendlichen ist die Situation  etwasschwieriger einzuschätzen, da das EMS nur Daten von Jugendlichen zwischen 15-24 Jahren aufzeigt. Von dieser Altersklasse waren es nochmal 2.000 Betroffene.

D.h. es gab insgesamt 3.008 PatientInnen unter 24 in Österreich, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Das entspricht ca. 15% der Gesamtzahl.

 

 

CredoWeb: Gab es auch schon Todesfälle von infizierten Kindern?

 

Dr. med. Florian Götzinger:

 

Ja, die gab es leider. Oftmals waren es Kinder mit schweren Grunderkrankungen, aber leider gab es auch Kinder, die keine bekannten Grunderkrankungen hatten und daran verstorben sind - allerdings nur sehr wenige.

 

In Österreich hatten wir bisher zum Glück keinen Todesfall an COVID-19 bei Kindern und Jugendlichen.

 

Weltweit und in Zusammenschau der verfügbaren epidemiologischen Daten scheint die Todesfallrate an COVID-19 bei Kindern zwischen 0,2 und 0,1% zu liegen.

 

 

CredoWeb: Vermutet man Langzeitschäden bei Kindern nach einer COVID-19- Infektion?

 

 

Dr. med. Florian Götzinger: Das ist noch relativ schwer zu sagen, weil wir hier noch sehr wenig Erfahrungen haben.

 

Das einzige, was sich immer mehr im Zusammenhang mit COVID-19 herauskristallisiert, ist ein beschriebenes Hyperinflammationssyndrom.

 

Dieser Symptomkomplexwird in den Vereinigten Staaten MIS-C (= Multisystem Inflammatory Syndrome in Children) und in Europa PIMS-TS (= Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrome temporally associated with SARS-CoV-2 infection) genannt.

 

Prinzipiell scheint es Kinder zu betreffen, die vermutlich als Immunantwort auf die Infektion oder nach der Infektion eine Hyperinflammation erleben. Der Körper überreagiert sozusagen auf den Kontakt mit dem Virus.

 

Man kann dieses Krankheitsbild grob in 3 Gruppen einteilen, wobei die 1. und kleinste Gruppe vermutlich die ist, die sich so ähnlich wie das KAWASAKI-SYNDROM (= Entzündung der kleinen und mittleren Arteriene, die meist Kinder zwischen einem und fünf Jahren betrifft) präsentiert.

 

Die 2. Gruppe tritt mit sehr hohen Entzündungswerten, sehr hohem Fieber und Bauchschmerzen auf, nimmt jedoch einen guten Verlauf.

 

Und dann gibt es die 3. Gruppe, wobei die Patienten in eine Schocksymptomatik und in eine massive Hyperinflammation verfallen und viel intensivmedizinisches Back-up brauchen.

 

Es sind sehr wenige Kinder, die es betrifft, aber es ist da und dieses Syndrom könnte man durchaus als Folgeschaden bezeichnen.

 

CredoWeb: Was können Eltern selbst tun, um ihre Kinder gut vor COVID-19 zu schützen?

 

 

Dr. med. Florian Götzinger:

 

Prinzipiell sind die Maßnahmen, die von offizieller Seite immer wieder für Erwachsene empfohlen werden, ebenso wichtig für Kinder.

 

Basishändehygiene: Wenn man von auswärts nach Hause kommt, sollte man sich gut und gründlich die Hände waschen und sich eventuell selbst ein Zeitlimit setzen, damit man das auch wirklich macht, denn im Stress geht es oft unter.

 

Husten- und Nieshygiene: Wenn man etwas langärmeliges anhat, sollte man in den Ellbogen husten und niesen.

 

Mund-Nasen-Schutz:

 

Überall dort, wo kein Mindestabstand eingehalten werden kann, bzw. in engen, geschlossenen Räumen ist der MNS-Schutz das, was am wichtigsten ist!

Der beste Schutz der Kinder ist eigentlich der Schutz der Eltern, sprich dass sich die Eltern so gut wie möglich schützen und das Virus nicht mit nach Hause bringen!


 

CredoWeb: Wie ist Ihre persönlich Prognose für die aktuelle Pandemie?

 

 

Dr. med. Florian Götzinger:

 

Grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass Österreich auf einem guten Weg ist, jedoch sehe ich auch, dass wir noch vor großen Herausforderungen stehen - vor allem in Hinblick auf die kommende Herbst-Winter-Saison.

 

Es wäre sehr wichtig für die Kinder und auch die Eltern, dass eine Kindergarten und Schulbetreuung durch vorab getroffene Maßnahmen gewährleistet ist  und andererseits müssen wir es schaffen, dass Kinder weiterhin, auch wegen möglichen anderen Infektionen und Erkrankungen zum Arzt gehen und nicht aus Angst vor COVID-19 den niedergelassenen Kinderarzt nicht aufsuchen.

 

Dasselbe betrifft auch die Schutzimpfungen, welche Kinder im Rahmen des österreichischen Impfplan machen sollten. Es ist essenziell, dass diese Schutzimpfungen auch weiterhin durchgeführt werden. Diese Impfungen schützen Kinder vor anderen Erkrankungen, die ja deswegen nicht aufhören zu existieren nur weil COVID-19 jetzt da ist.

 

Wir konnten außerdem in Österreich und auch in anderen Ländern beobachten, dass KollegInnen im niedergelassenen Bereich in letzter Zeit gehäuft schwerere Pneumonieverläufe und Harnwegsentzündungen gesehen haben als vor COVID-19. Der Schluss liegt nahe, dass Eltern aus Angst vor COVID-19 mit ihren Kindern später zum Arzt gegangen sind als sie es normalerweise getan hätten.

 

Es wird wichtig sein entsprechende Vorkerhungen zu treffen, damit es zu keiner sozialen Beeinträchtigung der Kinder kommt, wenn sie nicht mehr im Kindergarten oder in der Schule betreut werden können oder sich mit Beschwerden aus Angst vor COVID-19 nicht trauen zum Arzt zu gehen.

 

Jeder Einzelne von uns ist gefragt sich an das korrekte Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, das Einhalten von Basishygienemaßnahmen wie das regelmäßige Händewaschen und das Beachten eines Mindestabstands von 1-2 Metern zu halten.

 

Wichtig für einen weiterhin guten Verlauf  dieser Pandemie wird sein eine Infrastruktur für sehr rascheTestungen zu schaffen.

Im Herbst/Winter werden wie jedes Jahr wieder viele Kinder an Schnupfen, Husten, Halsweh und Fieber leiden.

Um etwaige Schul- und Kindergartenschließungen zu vermeiden, scheint eine rasche Feststellung, ob es sich am ehesten um eine COVID-19 handelt, als unumgänglich.

 

 

Interview: Christina Neumayer/CredoWeb

 

Vortrag "Kinder – ursprünglich harmlos, jetzt ein neues Syndrom" bei der Live-Übertragung: „Randthemen“ bei COVID-19 vom 30.06.2020 auf https://infektiologie.co.at/

ANHÄNGE

Götzinger et al Lancet.pdf

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