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Zwischen Grenzen der Schulmedizin & Möglichkeiten der Alternativmedizin

Zwischen Grenzen der Schulmedizin & Möglichkeiten der Alternativmedizin


Ein Experteninterview mit Dr. med. Bernhard Mitterdorfer aus Lienz.
Dr. Mitterdorfer ist Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe und wendet mit ausgezeichnetem Erfolg ergänzend zur Schulmedizin komplementärmedizinische Techniken bei seinen Patientinnen an.

 

CredoWeb: Was genau versteht man eigentlich unter Alternativmedizin bzw. Komplementärmedizin?

 

Dr. med. Bernhard Mitterdorfer: Leider beginnt die Verwirrung bereits bei den Begrifflichkeiten. Unter Komplementärmedizin werden üblicherweise die Schulmedizin ergänzende „sanfte“ Methoden zur Befindlichkeitsverbesserung oder auch Verbesserung der Verträglichkeit schulmedizinischer Methoden verstanden.

 

Als Alternativmedizin bezeichnet man oft Außenseitermethoden ohne wirklichen Bezug zur Schulmedizin.

Besser wäre jedenfalls der Begriff „funktionelle Medizin“ oder „Regulationsmedizin“ und sollte als Verfahren/Methode zur Beeinflussung funktioneller Störungen des „System“ Mensch verstanden werden.

 

CredoWeb: Welche Behandlungsmethoden zählen zur Alternativmedizin?

 

Dr. med. Bernhard Mitterdorfer:



Unter Komplementärmedizin fallen Methoden aus alten Medizinsystemen wie die

 

  • Traditionell Chinesische Medizin (mit Akupunktur, Qigong, Tuina Massage, Traditionell chinesischer Phytotherapie),

  • Ayurveda (= traditionell indische Heilkunst), aber auch
  • Traditionell Europäische Medizin (traditionell europäische Pflanzenheilkunde, Paracelsusmedizin, Spagyrik),
  • Homöopathie und ihre Weiterentwicklungen (z.B. Schüssler-Salze, Spenglersane, Mikroimmuntherapie, Homotoxikologie),

aber auch moderne Methoden wie

 

  • moderne Phytotherapie (= Pflanzenheilkunde),
  • Orthomolekularmedizin (= hochdosierte – Verwendung von Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen zur Vermeidung und Behandlung von Krankheiten).

 

Bei manchen Techniken existieren durchaus große Schnittmengen zu schulmedizinischen Verfahren,  zB bei der Neuraltherapie, bei verschiedenen elektrotherapeutischen Verfahren (TENS, Skenar) sowie der Orthomolekularmedizin.

 

Wichtig scheint mir eine Qualitätssicherung sinnvoller Verfahren, wie sie durch die Ärztekammerdiplome zahlreicher komplementärmedizinischer Verfahren in Österreich gegeben ist.

 

CredoWeb: Warum wird die Komplementärmedizin oft kritisiert?

 

Dr. med. Bernhard Mitterdorfer: An komplementären Verfahren wird oft mangelnde Wissenschaftlichkeit und mangelnde Studienlage kritisiert.

Der Goldstandard der Schulmedizin, die randomisiert doppelblinde Studie, lässt sich de facto nur an pharmazeutischen Präparaten durchführen. Bereits sämtliche, manuelle Fertigkeit am Menschen erforderlichen Methoden (chirurgische Eingriffe nur als Beispiel), schließen eine doppelblinde Randomisierung bereits aus. Für zahlreiche komplementärmedizinische Verfahren gilt das gleiche.

Bei Verfahren, die eine doppelblinde Randomisierung zulassen würden (zB Enzymtherapie, Phytotherapie), ist eine doppelblind randomisierte Studie nahezu unfinanzierbar, da für potenzielle Geldgeber der zu erwartende Gewinn lächerlich ist (wenn man sich mal das Blockbusterpotential biotechnologisch hergestellter Medikamente in der Onkologie und Infektiologie anschaut).

 

 

Die teils viele Jahrhunderte zählende Erfahrung wird meist nicht anerkannt.

Insgesamt fehlt vielfach die Kommunikation zwischen Schul- und Komplementärmedizin und es erfolgen aggressive gegenseitige Beschimpfungen, die nicht sein müssten, da es wohl allen Ärzten um eine optimale Betreuung ihrer Patienten geht.

 

Zudem erfolgt vielfach der Vorwurf, Patienten würden finanziell ausgenommen. Die Honorargestaltung obliegt klarerweise jedem einzelnen Kollegen, aber insgesamt betrachtet kann ich diesen Vorwurf nicht nachvollziehen.

 

 

CredoWeb: Wann stößt die Schulmedizin an ihre Grenzen?

 

 

Dr. med. Bernhard Mitterdorfer:

 

Schulmedizin ist alternativlos in Akutsituationen - sei es chirurgischer, unfallchirurgischer, neurologischer oder internistischer Natur.

 

Schulmedizinische Verfahren sind jedoch oftmals zu hinterfragen, wenn es um die Behandlung chronisch funktioneller Störungen geht.

 

Wenn man sich die durchschnittliche Medikamentenanzahl eines 80jährigen anschaut, mit Wechselwirkungen ohne Ende, die nicht mehr rational kalkulierbar sind, Medikamente, die oft Blockaden wichtiger Funktionssysteme bewirken, dann wird schnell klar, dass in solchen Fällen die Schulmedizin durchaus lebensqualitäts -und lebenszeitverkürzend sein kann.

 

 

CredoWeb: Wann kann Alternativmedizin besser helfen als die Schulmedizin?

 

 

Dr. med. Bernhard Mitterdorfer: Komplementärmedizinische Verfahren wären vor allem bei funktionellen Störungen sinnvoll, also in den vielem Jahren des diffusen „Unwohlseins“, welches meist apparativ-technisch fassbaren Veränderungen vorausgeht. Hier kann oft eine Umkehr potenziell schwerwiegender Entwicklungen erreicht werden, immer in Kombination mit Lebensstiländerungen, Achtsamkeit etc.

 

Es sei auch gesagt, dass funktionelle Störungen schon fast immer mit entsprechenden Labormethoden gesichert werden könnten.
Die Kosten müssen aber meist von den Patienten übernommen werden, da sie in die kassenmedizinisch bezahlten Sets nicht hineinfallen. Das kann durchaus ordentlich ins Geld gehen.

In Phasen des chronischen Krankseins können komplementärmedizinische Verfahren vielfach deutliche Befindlichkeitsverbesserungen hervorrufen, vor allem im Bereich der Schmerztherapie.

 

Zudem können Nebenwirkungen schulmedizinischer Therapien vielfach abgemildert werden (vor allem, aber nicht nur in der Onkologie) und der Dosisbedarf von Medikamenten reduziert werden.

 

 

CredoWeb: Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Komplementärmedizin in Ihrer Praxis?

 

 

Dr. med. Bernhard Mitterdorfer:

 

In meiner gynäkologisch -geburtshilflichen Ordination wende ich mit ausgezeichnetem Erfolg komplementärmedizinische Techniken an, vor allem Akupunktur, Neuraltherapie, aber auch Komplexmittelhomöopathie und Orthomolekulartherapie.

 

Ich bin ein Verfechter individualisierter Therapie und stelle die entsprechenden Therapiekonzepte mit Hilfe der Funktionellen Myodiagnostik (ehemals Applied Kinesiology) zusammen. Das ist ein Testsystem, das sehr exakt eine Hierarchisierung der Beschwerden und eine Reduktion der nötigen Therapeutika ermöglicht.


 

Dies vor allem bei chronisch funktionellen Beschwerden wie

 

 

  • Unterbauchschmerzen,
  • Kopfschmerzen,
  • Störungen der Hormonregulation wie Anovulation (= Ausbleiben des Eisprungs) und
  • Fruchtbarkeitsstörungen.

Selbstverständlich ist, wie von allen seriösen Komplementärmedizinern immer durchgeführt, eine exakte schulmedizinische auch apparativ-technische Diagnostik, Voraussetzung.

Hier schließt sich dann wieder der Kreis zur Schulmedizin.

 

Interview: Christina Neumayer/CredoWeb

 

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