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Meditation als mögliche Therapie bei Angststörungen

Meditation als mögliche Therapie bei Angststörungen


Dr. Nicolas Singewald
ist Leiter der Abteilung Neuropharmakologie an der Universität Innsbruck, und a.o. Univ. Professor für Pharmakologie am Institut für Pharmazie.
In seiner Forschung beschäftigt sich Dr. Singewald  unter anderem mit der Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten bei Angststörungen.  Mitte März 2021 hielt er mit KollegInnen einen Online-Vortrag innerhalb der „Woche des Gehirns“, eine Veranstaltung der MedUni Innsbruck, zum Thema „Meditation – Neues aus der Hirnforschung“, bei dem auch die Angstbewältigung ein Thema war.  Auch CredoWeb durfte ihn zu dieser spannenden Thematik befragen.

 

 

CredoWeb: Was versteht man unter Meditation?

 

Nicolas Singewald: Unter Meditation versteht man Geistesübungen, die in verschiedenen fernöstliche Traditionen seit Jahrtausenden überliefert sind und immer mehr auch in der westlichen Welt als säkulare Ansätze praktiziert werden.

 

 

Es gibt unterschiedliche Meditationsarten mit unterschiedlichen Auswirkungen, man könnte sie vielleicht gemeinsam als Werkzeuge der mentalen Selbstregulation bezeichnen. Die Wissenschaft untersucht Meditationstrainingsmethoden zunehmend, zB mit moderner Bildgebung auf ihre Auswirkungen auf Gehirnfunktion und Struktur und u.a. - aktuell sehr wichtig, auf die psychische Gesundheit. Oft stellen Mediationstechniken einen Teilaspekt dar, zB von verschiedenen Yogatraditionen oder therapeutisch ausgerichteten Ansätzen wie MBSR (Achtsamkeits-basiertes Stressreduktionsprogamm).

 

 

CredoWeb: Was ist der Hauptgrund, warum Menschen mit Meditation beginnen?

 

 

Nicolas Singewald: Die Hauptgründe, die bei Befragungen in der westlichen Welt genannt werden, sind

 

  • die Verbesserung des geistigen Befindens,
  • die Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit, bzw. auch
  • eine Verbesserung der Stressbewältigung.

Bei Yoga wird oft noch die Verbesserung des körperlichen Befindens genannt.

 

 

CredoWeb: Was passiert in unserem Körper, wenn wir Angst haben?

 

 

Nicolas Singewald:

 

Grundsätzlich ist Angst ein uraltes, wichtiges emotionales Steuerungselement, das uns hilft, Gefahren adäquat zu begegnen, zB um sinnvolle Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

 

Man weiß heute, dass Bedrohungssignale in verschiedenen Hirnregionen verarbeitet werden, die netzwerkartig miteinander verbunden sind. Man spricht auch von einem Angstnetzwerk im Gehirn. Diese Regionen zeigen dann ein spezifisches Aktivierungsmuster, das Angstgefühle und Reaktionen auslöst. Eine wichtige Komponente des Netzwerkes ist der Mandelkern (Amygdala), der über Verbindungen mit dem Hypothalamus und Hirnstamm auch autonome Begleiterscheinungen der Angst, wie zB Herzklopfen auslöst. Solche emotional stark angefärbten Gedächtnisinhalte werden besonders gut gespeichert, um später in ähnlichen Situationen entsprechend schneller reagieren zu können.

 

 

CredoWeb: Welche Faktoren spielen bei der Entstehung von Angststörungen eine Rolle?

 

 

Nicolas Singewald: Bei der Entstehung einer Angststörung, die häufigste Form mentaler Störungen, spielen meist mehrere verschiedene Faktoren zusammen.

 

Neurobiologisch geht man von einer Gen-Umwelt-Interaktion aus.

 

Die genetische Ausstattung spielt eine gewisse Rolle, bei verschiedenen Formen von Angststörungen ca. 30-50%. Es sind sogenannte Kandidatengene identifiziert worden, deren Varianten aber einzeln nur gering zur Risikosteigerung beitragen eine Angststörung zu entwickeln, sodass hier zahlreiche Gene (polygenetisches Modell) gleichzeitig betroffen sein müssen.

Wichtiger ist die Wechselwirkung der genetischen Ausstattung mit bisherigen Erfahrungen (zB frühkindliche Erfahrungen, Traumen), dem Lebenswandel und Umwelteinflüssen.

 

Hier spielt Stress eine sehr wichtige Rolle, sowohl als prädisponierender als auch Trigger-Faktor für das Entstehen einer Angststörung.

 

Diese Faktoren beeinflussen nicht direkt die Gene, sondern über epigenetische Marker die Steuerung ihrer Aktivität, d.h. wieviel vom jeweiligen Genprodukt (Proteine) gebildet wird. Eine Folge des Zusammenspiels dieser Mechanismen im Gehirn ist u.a. eine Verstellung des Angstnetzwerkes. Anteile wie die Amygdala im limbischen System werden reaktiver, die Angstsymptomatik nimmt zu. Die zunächst nützliche Angst wird krankhaft, entsteht nun auch ohne reale Bedrohung übersteigert, was zu deutlichem Leidensdruck und Einschränkungen im Alltag führt. Frauen sind ca. 2x häufiger von Angststörungen betroffen als Männer.

 


 

CredoWeb: Warum sind Frauen 2x häufiger von Angststörungen betroffen als Männer?

 

 

Nicolas Singewald: Für diesen in epidemiologischen Studien gefundenen Unterschied gibt es einige Erklärungsansätze. Entwicklungsgeschichtlich war Angst und Sorgenmachen für Frauen, die  mögliche Gefahren für den Nachwuchs in ihrer Obhut herankommen sehen sollten wahrscheinlich sinnvoller, als für Männer auf der Jagd oder im Krieg.

Eine gewisse Anerziehung (Frauen dürfen Angst haben, Männer weinen nicht) könnte auch eine Rolle spielen. Die unterschiedlichen Sexualhormone von Mann (Testosteron) und Frau (Östrogene) sind natürlich relevante Kandidaten.

 

Eine Genom-weite Assoziationsstudie für  Angsterkrankungen  hat tatsächlich kürzlich eine Assoziation mit einem Östrogenrezeptorgen identifiziert, was jedoch noch weiter untersucht werden muss.

 

Östrogene sind u.a. Transkriptionsfaktoren, die auch im Gehirn wirken und über Anschalten von Genen ein stärkeres Abspeichern zB von angstvollen Erinnerungen hervorrufen können.


Dazu kommt, dass Frauen bestimmten Stressoren wie sexueller oder physischer Gewalt viel mehr ausgesetzt sind als Männer, was Angst verstärkt. Auch das zweite X-Chromosom der Frauen, von dem ja die meisten Gene inaktiviert sind, ist Gegenstand von Forschungen über mögliche genetische Ursachen der erhöhten Angst, da es Hinweise gibt, dass einige der dort lokalisierten Gene mit Angst assoziiert werden.

 

 

Diskutiert wird auch, ob die größere Bereitschaft von Frauen über ihre Ängste - auch mit Ärzten - zu sprechen, zu den höheren weiblichen Diagnosezahlen von Angsterkrankungen beitragen könnte.      

 

 

CredoWeb: Welche Rolle spielt hier die COVID-19-Pandemie? Gibt es zusätzliche Stressoren, die zu Angststörungen führen können? Kann man von einer „Pandemie der Angst“ sprechen?

 

 

Nicolas Singewald:

 

Weltweite Untersuchungen zeigen eindeutig, dass die Angstsymptomatik, während der COVID-19-Pandemie um ca. das 3-fache im Vergleich zu Werten vor der Pandemie zugenommen hat. Aktuelle Studien zeigen, dass die Symptomatik weiter zunimmt, je länger die Pandemie andauert.

 

Auch diagnostizierte Angststörungen haben zugenommen. Das könnte die Grundlage sein, dass manche von einer Pandemie der Angst sprechen.



Und ja, es gibt ganz klare zusätzliche Stressoren durch die Pandemie:

 

  • Angst vor Ansteckung,
  • Sorge um das körperliche Wohlbefinden,
  • soziale Isolation,
  • eingeschränkte Bewegungs-, Sport-, und Kulturmöglichkeiten,
  • Verlust des Arbeitsplatzes,
  • finanzielle Einbußen,
  • Unsicherheit über die tatsächlichen Auswirkungen der Krise
  • Unseriöse mediale Berichte mit negativem Bias, Verschwörungstheorien

 

Diese Faktoren können zusätzlichen emotionalen Stress auslösen und, abhängig von der individuellen Empfindlichkeit bzw. Resilienz, u.a. zu Angststörungen, Depressionen und Burnout führen.

 

 


 

CredoWeb: Was sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Meditationsstudien bezüglich der Therapie von Stress bzw. Angststörungen?

 

Nicolas Singewald:

 

Es gibt bereits Metaanalysen, die das zeigen, was man schon länger in vielen Einzelstudien gesehen hat, nämlich dass meditationsbasierte Techniken die Stress- und Angstsymptomatik vermindern können.

 

Durch das Praktizieren dieser Techniken verändert sich offensichtlich auch die emotionale Beurteilung von Stressoren. In Studien wurde dementsprechend auch eine Reduktion von Stresshormonen und gewissen Stress-induzierten Entzündungsmarkern, auch in Angstpatienten gefunden, obwohl hier nicht alle Ergebnisse immer übereinstimmen.

 

Wer also mit dieser Symptomatik zB in der Pandemie oder danach besonders kämpft, könnte das Erlernen einer entsprechenden Praxis wie Yoga ins Auge fassen und sich damit sehr wahrscheinlich etwas Gutes tun und u.a. seine Stressresilienz fördern.

 

Wichtig dabei ist, dass noch keine manifestierte Angststörung vorliegt, denn die gehört zuerst in die Hände von Fachleuten wie Psychotherapeuten und Psychiater. Und an dieser Stelle auch die explizite Warnung, nicht jede Meditationsform ist für jeden geeignet.

 

Inwieweit Meditationsprogramme als Therapie bei den verschiedenen Angststörungen eingesetzt werden können. muss in weiteren kontrollierten Studien, auch im Vergleich mit etablierten Therapien untersucht werden.

 

 

CredoWeb: Gibt es tatsächlich messbare Veränderungen im Gehirn wenn die Angstsymptomatik abnimmt?

 

 

Nicolas Singewald:

 

Das ist sehr spannend, tatsächlich gibt es Hinweise für Neuroplastizität, einem positiven Umbau (engl. „rewiring“) im Angstnetzwerk.

 

 

Und zwar nicht nur durch Pharmaka und Psychotherapie, sondern auch durch meditationsbasierte Techniken. Diese Schaltkreise sind also nicht fixiert, sondern formbar: In Patienten mit verschiedenen Angststörungen, zB generalisierter Angststörung oder sozialer Angststörung zeigten sich schon nach 8 Wochen MBSR (= Mindfulness-Based Stress Reduction = Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion)

 

  • eine Verminderung der Amygdala-Reaktivität,
  • eine veränderte Konnektivität im Angstnetzwerk, verbunden mit
  • einer Verbesserung der Angstsymptomatik.

 

Es scheint auch so zu sein, dass Hirngebiete, die eine hemmende Funktion bei der Angstregulation ausüben, wie Teile des Präfrontalkortex, nach Meditationstraining in der Aktivität zunehmen und (nach längerem Training) mehr graue Substanz aufweisen, also „wachsen“.

 

Interessant sind auch Untersuchungen, inwieweit und welche meditationsbasierte Techniken das sogenannte Ruhezustandsnetzwerk (Default Mode Network, DMN) beeinflussen können, da höhere Aktivität in Anteilen dieses Netzwerkes u.a. mit sorgenvollem, andauerndem Grübeln in Zusammenhang gebracht wurde.

 

Eine Hoffnung besteht darin, dass man dieses belastende Grübeln durch geeignete Meditationstechniken, vielleicht über Aktivitätsmodulation im DMN positiv beeinflussen könnte.

 

CredoWeb: Was sollte man beachten, wenn man diese Technik selbst anwenden möchte?

 

Nicolas Singewald: Es gibt wissenschaftliche Studien, die „Nebenwirkungen“ von Meditation untersucht und aufgezeigt haben. Unter anderem wurde auch das mögliche Auftreten von Angstsymptomen genannt.

 

Es empfiehlt sich deshalb eine professionelle Anleitung (zB entsprechend gut ausgebildete YogalehrerInnen), vor allem am Beginn in Anspruch zu nehmen.



Dies gilt besonders, wenn es um eine Angstproblematik geht. Inzwischen gibt es zahlreiche Online-Angebote und Apps. Diese können, wenn sicher gestaltet, zur Überbrückung sinnvoll sein.

 

 

Interview: Christina Neumayer/CredoWeb

Kommentare

Hier wird Yoga und Meditation wild durcheinandergemischt. Wenn man angeleitete Meditation lernen möchte, sollte man einen Meditationslehrer aufsuchen, wenn man Yoga lernen möchte, einen Yogalehrer. Ausser, ein Lehrer kann beides. Ich ersuche um mehr Genauigkeit bei der Recherche bzw. Interviewführung.

Hanna Underberg
19 Apr 2021 14:32

… echt jetzt!?! Endlich ein Interview mit Substanz: informativ, wissenschaftlich evaluiert, seriös und nah an unseren Fragen und Bedürfnissen. Und dann diese Kritik – die auch noch auf falscher Vorstellung beruht: Patangali „yogash – citta vritti nirodha“ – lasst uns über Yoga sprechen – das Anhalten der Ablenkungen des steten Bewusstsein“.
Die Meditation ist die Stufe 7 des Yogaweges. Und gerade daher ist in traditionellen Yogalehrerausbildungen mit entsprechender Dauer die Meditation und deren Unterricht ein großer Bestandteil.