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Neuer Ansatz für Wirkstoffforschung: Schmerzmedikamente mit weniger Nebenwirkungen entwickelt

Neuer Ansatz für Wirkstoffforschung: Schmerzmedikamente mit weniger Nebenwirkungen entwickelt

Menschen mit chronischen Schmerzen sind oft auf Medikamente aus der Gruppe der Opioide mit teils erheblichen Nebenwirkungen angewiesen. Entsprechend steht die Suche nach Alternativen schon längere Zeit im Fokus der Wissenschaft. Im Rahmen einer internationalen Studie unter Leitung der MedUni Wien wurde jetzt ein opioid ähnlicher Wirkstoff entwickelt, der, so zeigte sich im Tiermodell, Schmerzen effektiv lindern kann, aber deutlich weniger unerwünschte Begleiterscheinungen zur Folge hat. Die Forscher:innen entwickelten dabei eine computergestützte Methode, die enormes Potenzial für die Verbesserung der Wirkstoffsuche und damit der medikamentösen Therapien auch weiterer Erkrankungen birgt. Die Studie wurde aktuell im renommierten Fachjournal Nature Communications publiziert.


Vor dem Hintergrund, dass die häufig in Schmerzmedikamenten eingesetzten Wirkstoffe aus der Gruppe der Opioide zu Arzneimittelabhängigkeit mit schweren Folgen bis hin zur Atemlähmung führen können, fokussierte das Forschungsteam um Erstautor Edin Muratspahić und Studienleiter Christian Gruber vom Institut für Pharmakologie der MedUni Wien auf die Entwicklung neuer Möglichkeiten in der Wirkstoffsuche. Opioid-Analgetika wie z.B. Fentanyl oder Morphin wirken hauptsächlich am so genannten µ-Opioid-Rezeptor im Gehirn, was mit den schwerwiegenden Nebenwirkungen in Verbindung gebracht wird. Darum machten sich die Forscher:innen aus Österreich, Australien und den USA auf die Suche nach Wirkstoffkandidaten, die an einen verwandten Rezeptor, den so genannten κ-Opioid-Rezeptor, binden, einem weiteren wichtigen Ziel für die Schmerzregulierung im menschlichen Körper.


Neue Wege für Entwicklung von Medikamenten

Um gezielt chemische Verbindungen zu entwerfen, die eine hohe Bindungsaffinität für ihr Wirkstoffziel aufweisen, nutzten die Forscher:innen ein neuartiges computergestütztes Designverfahren. Dieses De novo-Design, wie die Methode genannt wird, wurde nun auf die Familie der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (Abk. GPCR) angewandt. Diese gelten in der Pharmakologie als wichtigste Wirkstoffziele, da zirka ein Drittel aller Medikamente auf jenen zellulären Rezeptoren wirken. Mit Hilfe der Kombination von De Novo-Design, pharmakologischen sowie strukturellen Analysen mussten nur vier Verbindungen synthetisiert und experimentell charakterisiert werden, um schließlich ein vielversprechendes Molekül zu identifizieren: DNCP-β-NalA(1) („De novo circular peptide-β-naloxamine"). Wie die Untersuchungen zeigten, wies dieser neu entwickelte opioid-ähnliche Wirkstoff im Tiermodell eine starke schmerzlindernde Wirkung auf, ohne dabei Begleitsymptome wie z. B. Sedierung oder depressive Verstimmung auszulösen. Durch zielgerichtete Aktivierung einzelner zellulärer Signalwege des κ-Opioid-Rezeptors verspricht dieser Wirkstoff also bessere Verträglichkeit bei gleichzeitiger Reduktion der Nebenwirkungen.


„Im Rahmen unserer Studie haben wir ein Verfahren entwickelt, das die Wirkstoffsuche und -entwicklung z. B. von neuartigen Schmerzmitteln revolutionieren könnte“, unterstreicht Studienleiter Christian Gruber die Tragweite der Forschungsarbeit. De-novo-Design bedeutet eine enorme Verbesserung gegenüber bisher in der Pharmaforschung verwendeten Methoden zur Wirkstoffsuche wie Simulationen von virtuellen Molekül-Bibliotheken oder molekülbasierte Hochdurchsatz-Screenings. Darüber hinaus eröffnet das Verfahren die Aussicht, auch bessere Wirkstoffe für andere G-Protein-gekoppelte Rezeptoren zu finden, um Medikamente für die Behandlung von z. B. Herz-Kreislauf-, Stoffwechsel- oder psychischen Erkrankungen mit weniger Nebenwirkungen zu entwickeln. Das Potenzial der aktuell entdeckten Wirkstoffkandidaten für die medikamentöse Schmerztherapie soll nun in weiteren Studien untersucht und bestätigt werden. „Auch wenn bis zu deren Einsatz in der klinischen Praxis noch einige Jahre vergehen, soll unsere Entdeckung vielen Patient:innen, die unter chronischen Schmerzen leiden, Hoffnung geben“, so Gruber.


Publikation: Nature Communications
Design and structural validation of peptide–drug conjugate ligands of the kappa-opioid receptor;
Edin Muratspahić, Kristine Deibler, Jianming Han, Nataša Tomašević, Kirtikumar B. Jadhav, Aina-Leonor Olivé-Marti, Nadine Hochrainer, Roland Hellinger, Johannes Koehbach, Jonathan F. Fay, Mohammad Homaidur Rahman, Lamees Hegazy, Timothy Craven, Balazs R. Varga, Gaurav Bhardwaj, Kevin Appourchaux, Susruta Majumdar, Markus Muttenthaler, Parisa Hosseinzadeh, David J. Craik, Mariana Spetea, Tao Che, David Baker, Christian W. Gruber;
https://doi.org/10.1038/s41467-023-43718-w


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