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Koloskopie als Vorsorge rettet Leben

In Österreich wurden dadurch 6.000 Darmkrebsfälle verhindert. Einer von 17 Menschen entwickelt irgendwann in seinem Leben ein Kolonkarzinom


In den knapp zehn Jahren seit der Einführung des Qualitätszertifikats Darmkrebsvorsorge der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH) wurden insgesamt 213.000 qualitätsgesicherte Koloskopien (Darmspiegelungen) dokumentiert. Bei 38 Prozent aller Patienten, die ohne Symptome zur Untersuchung kamen, wurden Polypen (Adenome) in der Darmschleimhaut gefunden. Jeder Fünfte hatte Adenome, aus denen sich ein Tumor hätte entwickeln können. Bei sechs Prozent wurden bereits Wucherungen im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert, von denen vier Prozent pro Jahr tatsächlich zu einer Krebsdiagnose geführt hätten. Mittels qualitätsgesicherter Koloskopie konnten in diesen knapp zehn Jahren mehr als 6.000 Fälle von Darmkrebs verhindert werden, berichtet Univ.-Prof. Dr. Monika Ferlitsch (Abt. für Gastroenterologie und Hepatologie, MedUni Wien/AKH Wien).

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Diese  Untersuchung rettete ihm das Leben. „Einer von 17 Menschen entwickelt irgendwann in seinem Leben ein Kolonkarzinom“, so Prim.-Univ.-Prof. Dr. Michael Gschwantler (Vorstandsmitglied der ÖGGH, Wilhelminenspital Wien). „Es gibt aber kaum eine andere Krebsart, bei der eine derart sichere Vorsorge möglich ist.“

Die Zusammenarbeit zwischen der Gastroenterologie und der Pathologie hat sich gerade in der Vorbeugung und Behandlung von kolorektalen Karzinomen besonders positiv ausgewirkt und dazu geführt, dass wir heute sagen können: Darmkrebs ist kein zwingendes Schicksal mehr“, so Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Klimpfinger, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Pathologie (Kaiser Franz-Josef – Spital, SMZ-Süd, Wien). Dabei spielt die Pathologie eine zentrale diagnostische Rolle. Etwa 90 Prozent der bösartigen Darmtumoren entstehen aus Adenomen, einer zunächst harmlosen Geschwulst. Werden bei einer Darmspiegelung solche Polypen entdeckt, ist die Beurteilung, ob es sich dabei um noch gutartige oder bereits im Übergang zu bösartigen Veränderungen handelt, nur durch die feingewebliche Analyse in der Pathologie möglich. „Anfang der 2000er Jahre haben wir entdeckt, dass nicht nur klassische Adenome eine Vorstufe zum Karzinom bilden, sondern auch ein weiterer Typ. Diese ‚serratierten Adenome‘ wurden früher zu selten erkannt“, so Prof. Klimpfinger. „Inzwischen wurde sowohl endoskopisch durch die Gastroenterologen als auch mikroskopisch durch die Pathologen die Erkennungsrate dieser Läsionen signifikant gesteigert.“

Pathologie ist heute ein zentrales diagnostisches Fach, wie Bildgebung oder Labormedizin

Denn anders als in TV-Serien wie Quincy oder CSI, beschäftigt sich die Pathologie weit weniger mit Toten als mit Lebenden. „In 95 bis 98 Prozent aller Fälle trägt die moderne Pathologie mit dazu bei, dass Menschen wieder gesund, oder gar nicht erst schwerer krank werden“, so Prof. Klimpfinger. „Die Pathologie wurde längst zu einem zentralen diagnostischen Fach, durchaus vergleichbar den bildgebenden Verfahren oder der Labormedizin.“

Qualitätssicherung durch internationale Standards, Vernetzung und Online-Programme

Die histologische Analyse dient nicht nur der Diagnose, sondern auch der Qualitätssicherung für die endoskopische Diagnose. „Erst mit dem pathologischen Befund in Händen können Gastroenterologen sehen, ob sie mit ihrer Einschätzung richtig lagen und so ihre diagnostischen Fähigkeiten laufend verbessern“, so Univ.-Doz. Dr. Cord Langner (Institut für Pathologie, Medizinischen Universität Graz). „Zudem ermöglichen es diese Befunde abzuschätzen, ob und wann es sinnvoll ist, die Patienten zu einer Nachkontrolle einzuberufen.“

Gleichzeitig muss die Pathologie auch die Qualität der eigenen Diagnosen sicherstellen, das bedeutet permanente Fort- und Weiterbildung. Prof. Langner: „Wir haben uns zunehmend an internationalen Standards zu orientieren, die hochqualitative und reproduzierbare Ergebnisse garantieren. Die Österreichische Gesellschaft für Pathologie hat deshalb bereits eigene Qualitätsrichtlinien erarbeitet.“

Die Bemühungen um möglichst hohe Qualitätsstandards werden zunehmend auch durch internationale Netzwerke unterstützt. „Das European Network of Gastrointestinal Pathology (ENGIP) arbeitet weniger wie eine klassische Fachgesellschaft, sondern bildet ein Netzwerk, in dem Guidelines, Konsensus-Papiere und andere relevante Informationen veröffentlicht, ausgetauscht und diskutiert werden können“, nennt Prof. Langner ein Beispiel. Mittlerweile sind dort mehr als 420 Mitglieder aus 44 Nationen vertreten. „Zunehmend greift dieser Vernetzungsgedanke auch auf nationaler Ebene, was sich auch daran zeigt, dass sich immer mehr Kolleginnen und Kollegen im Bedarfsfall um eine Zweitmeinung bei der Diagnose von komplexen Läsionen bemühen, die im Rahmen der Vorsorgekoloskopie gefunden und entfernt wurden.“

Derzeit wird ein Ringversuch vorbereitet, für den 20 ausgesuchte Läsionen zusammengestellt wurden. Prof. Langner: „Diese werden demnächst auf einem Server verfügbar sein und können von allen Mitgliedern online in einem Multiple-Choice-Verfahren diagnostiziert werden. Für die erfolgreiche Bewältigung dieser durchaus diffizilen Aufgabenstellungen wird es eine Bestätigung geben, die für unsere Partner in der Gastroenterologie einen aussagekräftigen Qualitätsnachweis darstellen wird.“

Aktuelle Kostenersätze der Krankenkassen erschweren Einhalten der Standards

Um eine möglichst einheitliche und hohe Qualität von Koloskopien sicher zu stellen, hat die ÖGGH eigene Guidelines erarbeitet. „Allerdings muss man einräumen, dass höchste Ansprüche an die Qualität auch ihren Preis haben. Bei den aktuellen Kostenersätzen der Sozialversicherungsträger ist es für viele Kolleginnen und Kollegen tatsächlich ein Problem, alle Standards einzuhalten“, so Prof. Gschwantler. „Es ist höchst an der Zeit, dass sich Gesundheitsministerium und Hauptverband gemeinsam mit uns an einen Tisch setzen und eine neue, faire und qualitätssichernde Kalkulation erarbeiten.“

Ein weiteres Beispiel, wo Qualität dem Kostendruck zum Opfer fällt, ist der Hämoccult-Test, also die Untersuchung des Stuhls auf Blutspuren. „Was die Krankenkassen heute bezahlen ist jene Variante des Tests, die bei der Einführung der Vorsorgeuntersuchung 2005 als State of the Art gegolten hat. Leider hat diese aber entscheidende Nachteile“, so Prof. Ferlitsch. „Was die Kassen nicht bezahlen, ist eine deutlich aussagekräftigere Variante dieses Tests, bei dem Blutbestandteile durch eine immunologische Untersuchung über Antikörper nachgewiesen werden. Der kostet zwar ein wenig mehr, führt aber zu deutlich besseren Ergebnissen.“ Das lasse sich am Beispiel des Burgenlandes zeigen: Das Bundesland galt früher als jenes mit der höchsten Darmkrebsrate und hat sich letztlich entschlossen, den besseren Test zu finanzieren. Prof. Ferlitsch: „Mit deutlichem Ergebnis: Heute hat das Burgenland die zweitniedrigste Darmkrebsrate in ganz Österreich.“

Investitionen in Vorsorge-Koloskopie, die sich mehr als lohnen

Wie effektiv die Darmspiegelung ist, haben im Vorjahr australische Forscher der Universität Melbourne bei einer Auswertung von WHO-Daten belegt. „Für uns erfreulich: Den stärksten Rückgang bei der Darmkrebs-Sterberate konnte Österreich erreichen, wo die Sterberate bei Männern um 44,1 Prozent sank und bei Frauen sogar um 50,4 Prozent“, zitiert Prof. Gschwantler aus einer im British Medical Journal publizierten Studie. „Die Autoren führen diese erfreuliche Entwicklung auf häufiger in Anspruch genommene Screening-Untersuchungen wie die Darmspiegelung zurück.“

Eine kürzlich vorgestellte Studie aus Vorarlberg zeigt, dass qualitätsgesicherte Vorsorge-Koloskopien mittelfristig nicht nur Leben verlängern, sondern auch die Kosten signifikant senken: Ein Österreich-weites Koloskopie-Programm würde bereits nach zehn Jahren jährlich rund 1.600 Fälle von Darmkrebs in einem fortgeschrittenen Stadium verhindern. Jeder Fall von Metastasierung verursacht enorme medizinische Kosten. Außerdem ließen sich damit Krankenstände, Produktionsausfälle und Frühpensionierungen in Folge von Darmkrebs vermeiden. Prof. Gschwantler: „Wir sollten daher alles daran setzen, so viele Menschen wie möglich zu einer Koloskopie zu bewegen.“

Männer doppelt so häufig und früher betroffen – Rauchen wirkt sich bei Frauen negativer aus

Mit den von der ÖGGH in Österreich gesammelten Daten war es erstmals auch möglich, geschlechtsspezifische Unterschiede beim Darmkrebs detailliert zu untersuchen. So erkranken Männer nicht nur doppelt so häufig an einem Kolonkarzinom bzw. Vorstufen, sondern im Durchschnitt zehn Jahre früher als Frauen. „Leider hat das nicht dazu geführt, dass das Alter, ab dem Männer im Rahmen der Gesundenuntersuchung kostenlos zur Koloskopie gehen können, auf zumindest 45 Jahre gesenkt wurde“, so Prof. Ferlitsch.

Diese Woche wurde eine Studie abgeschlossen, die zeigen sollte, ob geschlechtsspezifische Unterschiede durch eine ungleiche Verteilung von Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum, ungesunder Ernährung oder Übergewicht erklärbar sind. „Es hat sich gezeigt, dass Männer, auch wenn diese Faktoren herausgerechnet werden, einfach das größere Erkrankungsrisiko tragen“, so Prof. Ferlitsch. „Mit einer Ausnahme: Rauchen wirkt sich bei Frauen noch negativer auf das Darmkrebsrisiko aus als bei Männern. Warum das so ist, können wir derzeit aber noch nicht erklären.“

Erst die klinisch-pathologische Zusammenarbeit führt zu zielgerichteter Therapie

Bei einem fortgeschrittenen Kolonkarzinom (Dickdarmkrebs) stellt die radikale chirurgische Entfernung oft in Kombination mit Chemo- und Strahlentherapie den meisten Fällen die Therapie der Wahl dar. „Hier hängt die Qualität der Behandlung zunächst natürlich von den chirurgischen Fähigkeiten und Techniken ab, ebenso aber von der nachfolgenden Untersuchung durch Pathologin oder Pathologen“, so Prof. Martin Klimpfinger. „Sie stellen fest, wie weit sich ein Tumor bereits ausgebreitet hatte und ob das Gewebe weiträumig genug abgetragen wurde.“

Die weiterführende Untersuchung der Lymphknoten zeigt, ob und wie weit sich bereits Metastasen gebildet haben, was für den weiteren Verlauf der Therapie von entscheidender Bedeutung ist. Sind nur nahegelegene Lymphknoten befallen, wird in den meisten Fällen eine adjuvante Chemotherapie angeschlossen. Haben sich bereits Fernmetastasen gebildet, geht die Arbeit der Pathologen aber weiter. Durch die molekularpathologische Bestimmung des Tumorgewebes ist es heute möglich zu erkennen, ob und bei welchen Patienten der Einsatz einer monoklonalen Antikörpertherapie in Frage kommt. Prof. Klimpfinger: „Patientinnen und Patienten mit so genanntem Wildtype K- und N-Ras-Status profitieren davon signifikant, während solche mit Mutationen der RAS-Gen-Familie keine Vorteile, sondern eventuell nur die Nebenwirkungen dieser äußerst kostspieligen Therapie erfahren.“

Darüber hinaus ist die Arbeit der Pathologinnen und Pathologen auch für die maßgeschneiderte Nachsorge in der Krebstherapie von entscheidender Bedeutung. Prof. Klimpfinger: „Abhängig von den histologischen Befunden können wir heute die optimalen Intervalle für Kontrolluntersuchungen festlegen.“

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