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Welt-Schlaganfall-Tag: „Schlaganfall ist behandelbar“

Welt-Schlaganfall-Tag: „Schlaganfall ist behandelbar“

Pressekonferenz zum Welt-Schlaganfall-Tag am 25.10.2016, Wien. "Jede Minute zählt – Fortschritte in der Akutbehandlung – Gefahren für das österreichische Versorgungsnetz"


90 Prozent aller Schlaganfälle gehen auf vermeidbare Lebensstilfaktoren zurück, betonen Experten aus Anlass des Welt-Schlaganfall-Tages. Weil bei einem Schlaganfall jede Minute zählt, ist die Aufklärung über typische Schlaganfall-Symptome zentral. Neben der intravenösen Thrombolyse gewinnt in der Akutbehandlung die endovaskuläre Thrombektomie zunehmend an Bedeutung. Aktuelle Zahlen belegen die Sicherheit und Wirksamkeit dieses innovativen Verfahrens. Doch die Fortschritte und das dichten Netz der Schlaganfall-Versorgung Österreich sind durch aktuelle Entwicklungen in Gefahr, warnen führende Neurologen.  

„Schlaganfall ist behandelbar“ - unter diesem globalen Motto steht der Welt-Schlaganfall-Tag am 29. Oktober

Aufklärung über Risiken und Symptome des Schlaganfalls, neue österreichische Daten zu einer wichtigen Behandlungsinnovation in der Akuttherapie, der endovaskulären Thrombektomie, und aktuelle Entwicklungen, die das dichte Netz der Schlaganfallversorgung in Österreich gefährden könnten, thematisieren aus diesem Anlass die Österreichische Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) und die Österreichische Schlaganfall-Gesellschaft (ÖGSF).

Ein großer Teil aller Schlaganfälle wäre vermeidbar. Das zumindest legen kürzlich in der Fachzeitschrift Lancet veröffentlichte Daten der INTERSTROKE-Studie nahe. „Zehn beeinflussbare Risikofaktoren sind weltweit für etwa 90 Prozent aller Schlaganfälle verantwortlich,“ betont Univ.-Prof. Dr. Franz Fazekas, Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie, MedUni Graz. „Das sind Bluthochdruck, Bewegungsmangel, ungünstige Blutfettwerte, Ernährung, das Verhältnis von Taillen- und Hüftumfang, psychosoziale Faktoren, Rauchen, Alkohol, kardiale Erkrankungen und Diabetes.“ Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine ebenfalls kürzlich veröffentlichte Auswertung der Schlaganfall-bezogenen Daten aus der Global Burden of Disease Study mit Zahlen aus 188 Ländern.

Zweithäufigste Todesursache weltweit

Das große Präventionspotential ist schon angesichts der Häufigkeit des Schlaganfalls besonders relevant, so der Präsident der ÖGSF, a.o. Univ.-Prof. Dr. Stefan Kiechl (Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck): „Weltweit erleiden pro Jahr etwa 17 Millionen Menschen einen Schlaganfall. 6,5 Millionen Menschen überleben ihn nicht. Der Schlaganfall ist die zweithäufigste Todesursache und die Hauptursache für Behinderungen.“

In Österreich sind jedes Jahr etwa 24.000 Menschen von einem Schlaganfall betroffen. Wobei das Schlaganfall-Risiko mit zunehmendem Alter steigt, so Prof. Kiechl: „Zwei Prozent der Männer und ein Prozent der Frauen im Alter zwischen 45 und 54 Jahren erleiden einen Schlaganfall. Im Altersbereich von 65 bis 74 Jahren sind sechs Prozent betroffen, bei den über 75-Jährigen über zehn Prozent.“ Jeder sechste Betroffene stirbt, gut die Hälfte der Überlebenden kann nach einer adäquaten Therapie und Rehabilitation wieder ein normales Leben, frei von Behinderung, führen. Allerdings bleiben 15 Prozent der Patienten ein Leben lang mehr oder weniger stark beeinträchtigt und ebenso viele werden zum Pflegefall.

Schlaganfall-Forschung fördern

„In der Schlaganfallforschung gab es noch nie so rasante Fortschritte, wie in den vergangenen Jahren. Allerdings ist es angesichts der weiterhin zunehmenden Risikofaktoren und der immer größer werdenden Zahl älterer Menschen notwendig, die gezielte Forschungstätigkeit weiter zu intensivieren, um die Auswirkungen der Risiken besser verstehen zu können und die Behandlungsmöglichkeiten zu verbessern“, fordert Prof. Kiechl. „Investitionen in die Forschung zahlen sich aus, da es auch darum geht, die enormen Krankheitskosten, die Schlaganfälle verursachen, zu reduzieren. Ein stärkeres Engagement, auch der öffentlichen Forschungsförderung, ist dringend erforderlich.“

Alarmsignale werden oft nicht erkannt

Jeder Schlaganfall ist ein dringender medizinischer Notfall. „Ein Problem ist allerdings, dass immer noch zu wenige Menschen in der Lage sind, die Symptome eines Schlaganfalls richtig zu erkennen. Deshalb geht oft wertvolle Zeit verloren“, warnt Prof. Fazekas. „Für Schlaganfall-Patienten kann das fatal sein. Je länger ein Gerinnsel die Blutversorgung bestimmter Gehirnregionen blockiert, desto mehr Areale werden geschädigt oder gehen unwiederbringlich verloren.“

Das Wissen über Symptome unterscheidet sich bei Männern und Frauen übrigens nicht, zitiert Prof. Fazekas eine aktuelle spanische Studie, aber sie reagieren in unterschiedlicher Weise: „Frauen wissen zwar besser über Schlaganfall-Risikofaktoren Bescheid. Doch treten Alarmsignale auf, rufen sie deutlich seltener und später die Rettung als Männer.“

Ein hilfreicher Leitfaden für die Früherkennung eines Schlaganfalls auch durch medizinische Laien ist die sogenannte „FAST“-Regel:

  • F wie Face (Gesicht): Hängt der Mundwinkel auf einer Seite herab?
  • A wie Arm: Ist ein Arm gelähmt und damit schwächer als der andere?
  • S wie Speech (Sprache): Kann die Person sprechen? Sind Worte oder Silben vertauscht, ist die Sprache verwaschen?
  • T wie Time (Zeit): Handeln Sie schnell und rufen Sie sofort die Rettung!

Frauen und Schlaganfall: Schlechtere Ergebnisse, niedrigere Sterblichkeit

„In einer geschlechtsspezifischen Auswertung von knapp 50.000 österreichischen Schlaganfall-Patienten, die im österreichischen Stroke-Unit-Register erfasst sind, konnten wir zeigen, dass Frauen drei Monate nach dem Ereignis deutlich schlechtere funktionelle Ergebnisse aufwiesen, aber bezüglich der Sterblichkeit im Vorteil waren“, berichtet Prof. Fazekas.

Unterschiede in der Therapie dürften dafür nicht verantwortlich sein, wie die Studie zeigt. „Die Ergebnisse dürften eher damit zu tun haben, dass Frauen statistisch gesehen rund sieben Jahre später einen Schlaganfall erleiden als Männer und schon aufgrund des höheren Alters bereits einen schlechteren Allgemeingesundheitszustand haben“, erklärt Prof. Fazekas. „Sie erleiden auch häufiger schwere Schlaganfälle.“

Endovaskuläre Thrombektomie: Neue Therapie verändert die Versorgungs-landschaft

„Die Therapie des akuten Schlaganfalls macht große Fortschritte“, betont Prim. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Lang, Leiter der Abteilung für Neurologie, Neurologische Rehabilitation und Akutgeriatrie, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien. „Neben der intravenösen Thrombolyse, also der medikamentösen Auflösung von Gerinnseln, gewinnt die endovaskuläre Thrombektomie zunehmend an Bedeutung, bei der mittels Katheter der Thrombus aus dem Blutgefäß herausgezogen wird.“

Die Überlegenheit der Thrombektomie bei ausgewählten Patientengruppen gegenüber der medikamentösen Standard-Therapie wurde jüngst in mehreren unabhängig voneinander durchgeführten Studien und einer Meta-Analyse aller aktuellen Untersuchungen überzeugend belegt. Prof. Lang: „Bei einem Verschluss der großen Hirngefäße und bei großen Thromben ist die endovaskuläre Thrombektomie zunehmend der Standard in der Akuttherapie.“

Hohe Behandlungsqualität, gute Ergebnisse

Seit 2003 werden Daten zur Schlaganfall-Akutbehandlung in den Stroke Units in einem österreichweiten Register dokumentiert. Seit Oktober 2013 werden auch alle Patienten, die mittels endovaskulärer Thrombektomie behandelt werden, in das Register aufgenommen. Prof. Lang: „Die Ergebnisse unserer Datenanalyse stehen in Einklang mit den internationalen Studien, die nachwiesen, dass die endovaskuläre Thrombektomie sicher und wirkungsvoll ist. Bei 81,4 Prozent der Patienten erreichte die endovaskuläre Therapie eine ausreichende Wiederherstellung des Blutflusses, 43,8 Prozent zeigten nach der Therapie gute funktionale Ergebnisse – also keine oder eine sehr geringe Behinderung.“

Ziel: Flächendeckende Versorgung rund um die Uhr

Seit den ersten Interventionen hat die Zahl der Patienten, die mit endovaskulärer Thrombektomie behandelt werden, beständig zugenommen. Waren es im Jahr 2011 noch weniger als 200 Interventionen in Österreich, so wird heuer bis zum Jahresende die Marke von 600 Eingriffen überschritten sein. „Aufgrund der nachgewiesenen Wirksamkeit sollte die neue Behandlungsmethode auf Basis des Stroke Unit-Netzwerkes möglichst bald in allen Versorgungsregionen Österreichs über 24 Stunden täglich und sieben Tage die Woche verfügbar sein.“

Fortschritte in Gefahr

Wenn wir im österreichischen Gesundheitssystem mit Fug und Recht auf etwas stolz sein können, dann ist das sicher unser bundesweit etabliertes, exzellentes Stroke-Unit-Netzwerk, das für eine hervorragende Akutversorgung von Schlaganfallpatienten sorgt. Umso alarmierender sind einige rezente Entwicklungen, die eine Gefahr für diese Fortschritte darstellen“, warnt die Präsidentin der ÖGN, Prim.a Univ.-Doz.in Dr.in Elisabeth Fertl, Gastprofessorin der MedUni Wien und Abteilungsvorständin Neurologie der Krankenanstalt Rudolfstiftung. „Im aktuell diskutierten Entwurf zum Österreichischen Strukturplan Gesundheit etwa sind eine Reihe von Punkten enthalten, die unsere hochwertigen Versorgungsstrukturen real gefährden.“

Derzeit verfügen alle neurologischen Standard-Abteilungen auch über Ressourcen für die Akut-Nachbehandlung. In dieser „Frührehabilitation“ werden Patienten in einem sehr frühen Stadium ihrer Genesung, wenige Tage nach dem akuten Schlaganfall, behandelt. „Der Entwurf des Strukturplans sieht vor, diese Früh-Reha-Betten aus den Akutstationen in reine Rehabilitationseinrichtungen zu verlagern“, so Prim.a Fertl. „Für die schwer kranken Schlaganfall-Patienten würde das bedeuten, dass sie bereits zu einem frühen Zeitpunkt in Sonderkrankenanstalten überstellt werden, obwohl sie noch die Infrastruktur einer Akutklinik brauchen. Diese Vorgangsweise würde zu einem intensiven Pendel-Verkehr zwischen Rehazentrum und Akutkrankenhaus führen. Aus medizinischer Sicht ist das abzulehnen.“

Wenn dieser Entwurf so beschlossen und umgesetzt werde, könne an keiner einzigen Organisationseinheit einer neurologischen Abteilung die im letzten Jahrzehnt etablierte Qualität der Patientenversorgung erhalten, geschweige denn ausgebaut werden, kritisiert die ÖGN-Präsidentin.

Keine verpflichtende Neurologie-Praxis in der postpromotionellen Ärzteausbildung

Prim.a Fertl: „Auch eine andere gesundheitspolitische Entscheidung ist nicht nachvollziehbar, nämlich die Positionierung der Neurologie in der postpromotionellen Ärzteausbildung.“ Obwohl bereits heute mehr Menschen an einer neurologischen Erkrankung leiden als an Atemwegserkrankungen, gastrointestinalen Störungen oder Krebs, sieht die 2015 in Kraft getretene Ärzteausbildungsordnung die Neurologie in der für alle Ärzte obligaten neunmonatigen Basisausbildung nicht als Pflichtfach vor. Im Gegensatz zur früheren Regelung gibt es auch in der Ausbildung zum Allgemeinmediziner das Pflichtfach Neurologie nicht mehr. „Hier droht also eine neue Ärztegeneration ohne neurologische Erfahrungen und Fertigkeiten heranzuwachsen“, so ÖGN-Präsidentin Fertl.

Quelle: B&K - Bettschart & Kofler Kommunikationsberatung

Fotocredit: Pixabay
 

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