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Sexualität und neue Medien: die Schnittstellen

Sexualität und neue Medien: die Schnittstellen

Im Rahmen des Dritten Kongresses „Sexualmedizin Interdisziplinär“ (01.-03.12.) in Wien sprach Prof. Dr. Christiane Eichenberg über verschiedene Formen der sogenannten Online-Sexualität und ihre Relevanz für die Sexualmedizin sowie für weitere medizinische Bereiche.


In der Session zu den zukünftigen Trends im Bereich der Sexualmedizin im Rahmen des Kongresses der Österreichischen Gessellschaft zur Förderung der Sexualmedizin und der sexuellen Gesundheit (ÖGFSSG) „Sexualmedizin Interdisziplinär“ ​​​​in Wien gab Univ. Prof. Dr. Christiane Eichenberg einen Überblick über die vielfältigen Schnittstellen zwischen Sexualität und modernen Medien, die sowohl mit Chancen als auch mit Risiken verbunden sind und zeigte dabei auf, inwiefern diese für die sexualmedizinische, gynäkologische, urologische wie auch psychotherapeutische Praxis relevant sind.

Online-Sexualität: Pro & Contra

Nach jahrelang stark polarisierten Debatten in Sachen Online-Sexualität, wobei entweder eine alarmierende oder eine marginalisierende Position vertreten wurde, herrscht heute eher eine empirisch fundierte Normalisierungsperspektive, welche die vielfältigen Erscheinungsformen der Online-Sexualität beleuchtet. Das Spektrum der Online-Sexualität ist breit – nach Döring (2009) erstreckt es sich von sexualbezogener Psychoedukation und Beratung (Websites, Foren etc.) über Pornografie und Sexshops bis hin zur Anbahnung sexueller Kontakte („Cybersex“), sexueller Tätigkeit („Cyberprostitution“) etc.

Wir wissen mittlerweile, dass das Internet zum alltäglichen Medium bei Gesundheitsfragen geworden ist,

so Prof. Eichenberg – laut deutschen repräsentativen Studien ist es für etwa 64,5 % der deutschen Internetnutzer der meistgenutzte Ratgeber bei Gesundheitsfragen. Insofern sei es laut Prof. Eichenberg nicht verwunderlich, dass es auch bei sexualbezogenen Problemen frequentiert wird. Besonders Jugendliche, aber auch viele Erwachsene wenden sich an Suchmaschinen und soziale Netzwerke, um zahlreiche Fragen rund um Sexualität und Sexualleben beantwortet zu bekommen.

Warum Online-Beratung bei sexualmedizinischen Fragen?

Die sexualbezogene Psychoedukation und Beratung über Websites hat Vor- und Nachteile – so bietet sie einerseits Patienten vielfältige Möglichkeiten zur Mitwirkung, andererseits bestehen Probleme wie die Verbreitung von erheblichen Falsch- und Fehlinformationen zu sexualmedizinisch relevanten Themen sowie die Qualitätssicherung von Inhalten.

Internet: für jedes Problem - eine Lösung (Bildquelle:
Vortrag Prof. Eichenberg)

Abgesehen von den negativen Aspekten, ist sexualbezogene Online-Beratung effektiv, was Prof. Eichenberg anhand einer Studie im Bereich darstellte. Die Analyse untersuchte die Motive der Ratsuchenden zur Online-Beratung und stellte dabei fest, dass die internetspezifischen Charakteristika darüber ausschlaggebend sind – Menschen möchten anonym beraten werden, schnell und einfach einen Berater erreichen können, bevorzugen eine schriftliche Form bei sexualbezogener Fragen und möchten schließlich auch lange Anfahrtswege zur Beratungsstelle vermeiden. Laut der vorgestellten Studie sei die Bereitschaft der Befragten für solche Online-Angebote auch Geld zu bezahlen, ein indirekter Indikator für die Wertschätzung und die Zufriedenheit der Nutzer.

Therapie bei Cybersexsucht

Nachdem über zwanzig Jahre in der Fachwelt sowie in den Medien darüber diskutiert wurde, welcher diagnostischen Kategorie die Intersucht einzuordnen ist (Zwangsstörung, psychotraumatische Erkrankung etc.), geht heute der Trend dahin, Internetsucht als Verhaltenssucht, als substanzungebundene Abhängigkeit aufzufassen. Dabei gehören zu den Hauptaktivitäten von Internetsüchtigen in erster Linie Online-Games und die Rezeption sexueller Angebote: „das bedeutet, dass Online-Spiele und Online-Sex ein besonderes Suchtpotenzial haben, vor allem aufgrund der lustvollen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Medium Internet“, so Prof. Eichenberg. Dabei ist es bekannt, dass es hohe Komorbiditäten – vor allem mit Substanzabhängigkeit, Essstörungen oder auch affektive Persönlichkeits- und Angststörungen – bei Menschen mit Online-Sexsucht gibt.

Stoffunabhängige Verhaltenssüchte wie die Online-Sexsucht werden heute unter anderem mit der sogenannten „State of the Art“-Therapie behandelt. Während Therapie bei Abhängigkeitserkrankungen totale Abstinenz bedeutet, bedeutet es bei den Verhaltenssüchten selektive Abstinenz bzw. selektiver Entzug, womit die Therapie beginnen soll. Dabei werden Techniken wie etwa das motivational Interviewing (MI) – eine Gesprächsführung, um Menschen für Veränderungen zu gewinnen – angewendet. Im Rahmen der Therapie spielt oft die Miteinbeziehung des Partners eine wesentliche Rolle. Letztendlich geht es nach der ersten Stabilisierungsphase darum, die tiefliegenden Ursachen der Sexsucht in Abhängigkeit der dominierenden Ethologien zu bearbeiten – also ob ein neurotischer Konflikt, ein Traumageschehen oder sonstiges dahinter steht.

Schlussendlich ist laut Prof. Eichenberg für Professionisten vor allem wichtig, über sexuelle Gewaltformen im Internet Bescheid zu wissen und die medienspezifischen Besonderheiten zu kennen, um mit betroffenen Opfern, aber auch Tätern angemessen umgehen zu können.

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