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Palliativmedizin - Neue Spezialisierung soll die Betreuung von Patienten mit unheilbaren neurologischen Erkrankungen verbessern

Palliativmedizin - Neue Spezialisierung soll die Betreuung von Patienten mit unheilbaren neurologischen Erkrankungen verbessern

Statement Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Kapeller bei der Vorab-Pressekonferenz zur 14. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie.


Palliativmedizin hat viele Notwendigkeiten und geht dabei weit über die Behandlung von Patienten mit onkologischen Erkrankungen hinaus - neue Spezialisierung soll die Betreuung von Patienten mit unheilbaren neurologischen Erkrankungen verbessern.

Noch vor zehn Jahren hat kaum jemand in der Bevölkerung gewusst, was Palliativmedizin ist. Heute ist das zum Glück anders: Die meisten Menschen verbinden damit eine symptomlindernde und Lebensqualität-erhaltende Behandlung, denken dabei aber meist ausschließlich an Krebspatienten im Endstadium. Dieser Bewusstseinswandel ist erfreulich – greift aber bei Weitem zu kurz.

Palliativmedizin ist weit mehr als die Behandlung von Kranken am Lebensende

Ich freue mich daher besonders, dass die Palliativ-Neurologie auf der bevorstehenden Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) eines der Hauptthemen sein wird. Dabei wollen wir klar machen, dass es in der – wörtlich übersetzt – „ummantelnden Behandlung“ um weit mehr geht, als um ein „end of life treatment“. 

In der WHO-Definition für Palliativbetreuung ist ganz generell von einer „lebensbedrohlichen Erkrankung“ und nicht nur von einer bestimmten Diagnosegruppe wie zum Beispiel Krebserkrankungen die Rede. Auch in der Definition des Österreichischen Bundesinstituts für Gesundheit (ÖBIG) heißt es: „Palliativpatientinnen und -patienten sind sterbende und/oder unheilbar kranke Menschen in einem fortgeschrittenen Stadium onkologischer und nichtonkologischer Erkrankungen mit die Lebensqualität beeinträchtigenden Symptomen und/oder psychosozialen Problemen.“

Viele neurologische Erkrankungen erfordern hohes Maß an palliativer Betreuung

Es liegt in der Natur der Sache, dass gerade neurologische Erkrankungen sehr oft mit den genannten beeinträchtigenden Symptomen einhergehen und der Bedarf an palliativer Betreuung daher besonders groß ist. Während die Vorstellungen darüber, welchen Bedürfnissen onkologische Patientinnen und Patienten in diesem Zusammenhang unterliegen sowohl unter Medizinern wie auch in der Allgemeinbevölkerung oft sehr konkret sind, ist das Bewusstsein der Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten mit neurologischen Krankheitsbildern weit weniger ausgeprägt. Auf der Jahrestagung werden wir deshalb die Erfordernisse und Behandlungsmöglichkeiten am Beispiel von Patienten mit Amyotropher Lateral Sklerose (ALS) aufzeigen. 

Darüber hinaus stellen aber auch eine Vielzahl anderer neurologischer Krankheitsbilder hohe Anforderungen weit über die rein kurative Therapie hinaus. Das gilt für Demenzen, M. Parkinson und andere degenerative Erkrankungen des Zentralnervensystems ebenso wie für die Folgezustände schwerer Schlaganfälle oder Gehirnentzündungen, Hirntumore, Neurotraumen oder genetische Erkrankungen wie die Huntington’sche Erkrankung.

Palliativmedizin erfordert individuelle Lösungsansätze

Leider gibt es für eine optimale, lebensbegleitende Behandlung solcher Fälle kein Patentrezept. Mehr als jede kurative Therapie ist eine qualitätsvolle Palliativbetreuung neben der Krankheit und ihrer individuellen Ausprägung immer auch von persönlichen Vorstellungen und Präferenzen den besonderen Lebensumständen der Patienten abhängig. So sind etwa ALS-Patienten durch die nicht heilbare, degenerative Schädigung des motorischen Nervensystems schon frühzeitig in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt. Hier gilt es, Lebensumstände zu schaffen, die den – geistig völlig intakten – Patienten so lange wie möglich ein weitgehend selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen. Dazu ist eine Betreuungssituation notwendig,  die eine adäquate Nahrungsaufnahme ebenso sicherstellt wie eine rechtzeitige und fachgerechte Absaugung des Speichels.

Demenzpatienten stellen uns vor wieder andere Herausforderungen: Hier sind wir nicht nur mit erheblichen kognitiven Einschränkungen konfrontiert, die besondere Fähigkeiten in der Arzt-Patienten-Kommunikation erfordern. Anders als etwa Krebspatienten sterben solche Menschen in der Regel nicht an ihren Defizitsymptomen, leiden dafür aber altersbedingt an einer Reihe anderer Krankheiten, auf die man eingehen und zu einem Gesamt-Therapieplan verarbeiten muss, der die Lebensqualität möglichst lange zu erhalten hilft.

Neurologische Palliativbetreuung ist langfristig und personalintensiv

Hier zeigt sich auch einer der wesentlichen Unterschiede zur Palliativbetreuung in der Onkologie. Während die Palliativmedizin bei Krebspatienten meist erst knapp vor dem Ende des Lebens notwendig wird, können palliative Situationen in der Neurologie auch von langer Dauer sein. Das stellt natürlich auch besondere Anforderungen an die personellen Ressourcen unserer Versorgungseinrichtungen. Es ist deshalb – gerade vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Bevölkerung – wichtig, dass wir allen Sparbemühungen zum Trotz darauf achten, genügend qualifiziertes Personal zu behalten.

Neue Spezialausbildung soll Behandlungsqualität heben

Zwar ist die Versorgung dieser Krankheitsbilder und ihrer Folgezustände seit jeher integraler Bestandteil neurologischen Arbeitens – dennoch sehen wir auch in unserem Fachgebiet die Notwendigkeit, das Bewusstsein über die Versorgung und Therapie von Menschen mit Lebensqualität beeinträchtigenden Symptomen weiter zu schärfen. Deshalb arbeiten wir derzeit gemeinsam mit anderen Fachrichtungen an der Entstehung einer neuen, interdisziplinären Ausbildung. Diese Spezialisierung in Palliativmedizin soll das Fachwissen vertiefen und zu einer noch qualitätsvolleren Gesamtversorgung beitragen. 

Das Besondere daran: Da die Probleme solcher Patientinnen und Patienten immer vielfältig sind und die Versorgung durch mehrere Fachbereiche notwendig ist, wird dieses Vorhaben von Anfang an als interdisziplinäre Herausforderung gesehen. Das Curriculum für diese Ausbildung wird daher nicht von einer Fachgesellschaft alleine entwickelt, sondern von Vertretern der Neurologie, Anästhesie, Inneren Medizin, Pädiatrie und Hämato-Onkologie gemeinsam erarbeitet. Ich bin optimistisch, dass wir die letzten offenen Abstimmungsfragen in allernächster Zeit abgeschlossen haben. 

Es ist ein wichtiger Fortschritt, dass alle diese Fächer an einem Strang ziehen. Nur mit einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit können wir für die Palliativmedizin eine einheitliche Basisqualität, gepaart mit dem Spezialwissen all dieser Fächer, sicherstellen. Davon, dass hier die unterschiedlichen Erfahrungen und Zugänge aus allen Fachrichtungen einfließen, werden alle – und in erster Linie natürlich unsere Patientinnen und Patienten – profitieren. Mit dieser Spezialisierung wird es gelingen, Behandlungsansätze und Strukturen zu schaffen, mit denen die Qualität palliativer Behandlungen noch einmal deutlich gehoben wird.

Text: Journalistenservice B&K - Bettschart&Kofler Kommunikationsberatung;

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