Artikel

Patienten-Blut-Management: Eine Alternative zu Fremdbluttransfusionen

Patienten-Blut-Management: Eine Alternative zu Fremdbluttransfusionen

Patienten-Blut-Management: Eine Alternative zu Fremdbluttransfusionen

 

CredoWeb im Interview mit Universitätsprofessorin & Leiterin der Abteilung für Anästhesiologie, Notfall- und Intensivmedizin am EKH Wien Prim. Univ.-Prof. Dr. med. Sibylle Kietaibl

 

CredoWeb: Was genau versteht man unter „Patienten-Blut-Management“?

 

Prim. Univ.-Prof. Dr. med. Sibylle Kietaibl:

Unter Patienten-Blut-Management, englisch „patient-blood-management“, kurz PBM, versteht man ein Maßnahmenbündel, das das Ziel hat, körpereigenes Blut zu bewahren und Fremdbluttransfusionen auf jene Situationen zu beschränken, wofür es keine andere Alternative gibt.

Bei jeder Operation geht unweigerlich körpereigenes Blut verloren. Bei kleinen Eingriffen ist dies nicht beeinträchtigend.


Aber bei großen Operationen kann so viel Blut verloren werden, dass zu wenig patienten-eigenes Blut übrigbleibt. Die Transportaufgabe des Blutes für Nährstoffe und Sauerstoff ist gefährdet.

Operation

 

Um bedrohliche Folgen für den Organismus zu vermeiden, behandeln Ärzte nach PBM jegliche Blutarmut vor, während und nach großen Operationen, verringern den Verlust an patienten-eigenem Blut und geben Fremdblut zurückhaltend, nur bei echter Indikation.

 

CredoWeb: Welche Vorteile bringt das Konzept für Patienten und welche für Mediziner?

 

Prim. Univ.-Prof. Dr. med. Sibylle Kietaibl: Für die Patientin/den Patienten bringt PBM den Vorteil der gesteigerten Behandlungsqualität und Patientensicherheit im Vergleich zum früher üblichen großzügigen Verabreichen von Fremdblut.

 

Bluttransfusion

 

Das Bewahren des körpereigenen Blutes steigert mittel- und langfristig das Behandlungsergebnis.

Für MedizinerInnen bringt PBM den Vorteil, dass wissenschaftlich belegte Maßnahmen wie in einem komplexen Fahrplan zusammengefasst vorliegen. Das erleichtert das systematische Abarbeiten der vielen Details, die an die individuellen Erfordernisse der jeweiligen Patientin/des jeweiligen Patienten anzupassen sind.

 

CredoWeb: Warum ist es notwendig den Einsatz von Bluttransfusionen zu minimieren?

 

Prim. Univ.-Prof. Dr. med. Sibylle Kietaibl:

Der Einsatz muss deswegen minimiert werden, weil Fremdbluttransfusionen mögliche unerwünschte Nebenwirkungen haben.

Es gibt wohl kein Medikament ohne jegliche Nebenwirkung.
Die Transfusion von Fremdblut löst – ähnlich einer flüssigen Transplantation – Gegenreaktionen im Körper des Empfängers aus.

Erhöhte Sterblichkeit und Krebsrate sind mittel- und langfristige Probleme.

 

Kurzfristig nach Fremdbluttransfusion können Lungenversagen und Schock drohen.

 

Wiederbelebung

 

All das passiert leider auch bei qualitativ hochwertig hergestellten Blutkonserven, wie wir sie in Österreich haben.

 

CredoWeb: Wie kann man den Einsatz von Bluttransfusionen minimieren? Mit bestimmten Medikamenten oder durch Schulungen der Ärztinnen & Ärzte?

 

Prim. Univ.-Prof. Dr. med. Sibylle Kietaibl: Den Verbrauch an Fremdbluttransfusionen kann man minimieren, indem man Alternativen ausschöpft und die Indikationen zur Transfusion auf Situationen beschränkt, wo es wirklich nötig ist und eben keine Alternative mehr gibt.

PBM ist das Maßnahmenbündel zum Ausschöpfen sämtlicher Alternativen.
Diese bestehen einerseits im Maximieren des patienteneigenen Blutvolumens rund um große Operationen. Es wird drauf geachtet, dass die Menge an roten Blutkörperchen stimmt und wenn nicht, dann wird die Blutbildung gefördert.

Andererseits geht es um das Auffangen und Bewahren jedes einzelnen Bluttropfens während und nach dem Eingriff.

 

  • Hierzu brauchen Chirurgen Instrumente zum blutarmen Operieren.
  • Hierzu brauchen Anästhesisten Medikamente, die während der Blutung entstehende Gerinnungsstörungen rasch korrigieren und Geräte, die das Aufsammeln und Waschen verlorenen Wundblutes ermöglichen.

 

Schulung braucht es immer – vor allem dann, wenn alte 0815-Traditionen durch ein neues, auf den einzelnen Patienten maßgeschneidertes Konzeptbündel abgelöst werden.

Schule

Heute lernen bereits Studierende der Medizin PBM. Jungärzte haben PBM im Ausbildungsplan und als Inhalt der Facharztprüfung. Fachärzte werden in Weiterbildungen über PBM geschult. PatientInnen stehen Informationsmaterialien und eine multimediale Patientenleitlinie zur Verfügung.

 

CredoWeb: Welche Risiken bestehen beim PBM?

 

Prim. Univ.-Prof. Dr. med. Sibylle Kietaibl:

Nichts in der Medizin ist ohne potenzielle Risiken.

Bei PBM werden Medikamente und Medizinprodukte eingesetzt, die auch mögliche Komplikationen haben.
So können zum Beispiel die Eisentabletten zur Korrektur einer Blutarmut vor der großen Operationen Übelkeit hervorrufen.

Aber: Studien belegen bislang mit aller Deutlichkeit und Einheitlichkeit die Überlegenheit von PBM hinsichtlich der Risikoreduktion. Über Geld spricht man nicht gern, aber die überaus relevanten Kosteneinsparungen durch PBM sind in ökonomischen Studien nachzulesen. 

 

CredoWeb: Wann werden heute noch Blutkonserven vorbereitet?

 

Prim. Univ.-Prof. Dr. med. Sibylle Kietaibl: Früher wurden bei Hüft- und Kniegelenksersatzoperation viele Blutkonserven gegeben. Mittlerweile werden bei diesen Routineeingriffen unter Anwendung von PBM nur in echten Ausnahmefällen Fremdblut gegeben.

Hier werden gar keine Blutkonserven mehr im Voraus vorbereitet. Bei sehr großen, blutungsriskanten Operationen müssen jedoch für den Patienten Blutkonserven geprüft und im Blutdepot oder der Blutbank vorgehalten werden.

 

Bluttransfusion


Diese vorbereiteten Blutkonserven werden dann laut PBM transfundiert, wenn lebenswichtige Organe zu wenig Sauerstoff und Nährstoffe über den Transport im körpereigenen Blut erhalten könnten. Bei seltener Blutgruppe entscheiden sich Ärzte auch großzügig zur Vorhaltung von Fremdblut, weil die Prüfung in diesem Fall Zeit braucht.

 

Blutgruppe

 

 

Interview: Christina Neumayer/CredoWeb

Kommentare