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Schmerzen bleiben bei Demenzkranken noch zu oft unbehandelt

Schmerzen bleiben bei Demenzkranken noch zu oft unbehandelt

PatientInnen, die unter einer Demenz leiden, haben häufig auch Schmerzen. Bleibt der Schmerz unbehandelt, kann dies zu Verhaltensauffälligkeiten wie Aggression oder Unruhe in dieser Patientengruppe führen. Einige klinische Studien der letzten Jahre zeigten auf, dass viele Demenzpatienten keine adäquate Schmerztherapie erhalten. Bei schwerer Demenz bleibt die Schmerzmessung eine diagnostische Herausforderung, daher wären in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen Schulungen wünschenswert, sagt ÖSG-Vizepräsident Prim. Priv.-Doz. Dr. Nenad Mitrovic anlässlich der 18. Österreichischen Schmerzwochen.

 

Die Österreichische Schmerzgesellschaft (ÖSG) ortet gute Verbesserungsmöglichkeiten bei der Betreuung von Demenzkranken:

Bis zu 50 Prozent der älteren Menschen dürften unter Schmerz und Demenz gleichzeitig leiden. Trotzdem erhalten sie bei vergleichbaren schmerzhaften Krankheitsbildern deutlich weniger Analgetika als Patienten ohne kognitive Einschränkungen,

sagt ÖSG-Vizepräsident Prim. Priv.-Doz. Dr. Nenad Mitrovic, Leiter der Abteilung für Neurologie am Salzkammergut-Klinikum Vöcklabruck, zum Auftakt der 18. Österreichischen Schmerzwochen.

 

Eine Studie bei Hüftfrakturpatienten bestätigt etwa, dass Demenzkranke um ein Drittel weniger Morphindosen erhalten als kognitiv unauffällige Betroffene. Vergleichbare Ergebnisse gibt es auch bei Medikamenten aus der WHO-Stufe I, zum Beispiel Paracetamol. Hier erhielten Demenzkranke eine um 50 Prozent geringere Dosis im Vergleich zu Schmerzpatienten ohne Demenz.

Schmerzmittel könnten Verhaltensauffälligkeiten reduzieren

Es muss unser Anliegen sein, dass gerade auch jene Patientinnen und Patienten, die sich nicht mehr helfen können, bzw. Schmerz schlechter ausdrücken können, eine adäquate Schmerztherapie erhalten. Schmerz gilt auch als wichtigste Ursache für neuropsychiatrische Symptome, die im Zuge einer Demenz-Erkrankung auftreten können: Aggression, Unruhe, Schlafstörung, Halluzinationen, aber auch Rückzugstendenz, Apathie oder Depression,

fasst Prim. Mitrovic zusammen.

 

Da die Betroffenen ihr Leiden oft nicht mehr verbal äußern können, reagieren sie mit Verhaltensauffälligkeiten. „Dabei könnte ein entsprechendes Schmerzmanagement die Ausprägung dieser Symptome reduzieren“, so der Experte.

Schmerzeinschätzung: Befragung bleibt Goldstandard

Für Ärzte und Pflegepersonal ist es oft schwierig, die Beschwerden von Demenzpatienten richtig einzuschätzen. Viele Betroffene sind nicht oder nicht immer in der Lage, ihre Schmerzen verbal zu äußern. Doch auch beim Schmerz-Assessment von Demenzkranken gilt die Selbsteinschätzung als Goldstandard. „Wir müssen die Betroffenen aktiv nach ihrem Befinden fragen, auch mehrfach“, fordert der Experte.

 

Als standardisiertes Instrument dafür empfiehlt Prim. Mitrovic die verbale Rating-Skala (VRS). Sie liefert bei mehr als 90 Prozent der Fälle verlässliche Ergebnisse, selbst bei mittelgradigen kognitiven Einschränkungen. Anders sieht es in schweren Fällen aus. Hier sollten Fremdeinschätzungsinstrumente zur Anwendung kommen. „In den letzten 20 Jahren sind weltweit über 30 Assessment-Methoden zur Schmerzerkennung bei Demenz entwickelt worden – aber leider noch nicht jene, die wirklich alle Anforderungen erfüllen. Das entbindet uns aber nicht der Verpflichtung, jeden möglichen Versuch zu unternehmen, den Menschen zu helfen. Ein mögliches Screening-Tool ist die sogenannte BESD-Skala (Beurteilung von Schmerz bei Demenz, englisch PAINAID). Im Zweifelsfall ist ein vorsichtiger Therapieversuch mit Analgetika gerechtfertigt um die Lebenssituation von Betroffenen zu verbessern“, sagt Prim. Mitrovic. „Wie bei allen Schmerzpatienten helfen auch hier nichtmedikamentöse Maßnahmen, um das Befinden zu verbessern: Von mehr persönlicher Zuwendung bis zu Musiktherapie.“

Schmerzmessung: Flächendeckende Schulungen in Spitälern und Pflegeeinrichtungen

Was Schmerzmessung und Schmerzmanagement bei Demenz angeht, besteht ein deutlicher Informationsbedarf in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Das lässt eine Befragung aus 2013 erkennen, die in sieben europäischen Ländern durchgeführt wurde. Nur in einer kleinen Minderheit der teilnehmenden Einrichtungen kommen in der täglichen Praxis Instrumente der Schmerzeinschätzung zum Einsatz. In Österreich nahmen 38 Einrichtungen teil und nur neun gaben an, mit Schmerzerhebungstools zu arbeiten. Gesundheits- und Krankenpflegende fühlen sich laut der Befragung nicht ausreichend für Schmerzeinschätzung und Schmerzmanagement bei Demenzpatienten ausgebildet.

Fortbildungsangebote und praxistaugliche Leitlinien wären die wichtigsten Maßnahmen, um die Situation für eine der schwächsten Gruppen unserer Gesellschaft schnell zu verbessern,

so Prim. Mitrovic. Der Experte hat allerdings auch den Eindruck, dass sich seit der Befragung auch einiges zum Positiven gewandelt hat. „In den Krankenhäusern der oberösterreichischen Gesundheitsholding, vormals gespag, beispielsweise werden Ärzte und das Pflegepersonal hinsichtlich Schmerzerkennung und Schmerzmanagement von Demenzpatienten sensibilisiert und geschult. Wir von der Österreichischen Schmerzgesellschaft fordern die Umsetzung eines adäquaten Schmerzmanagements bei demenzkranken Patienten verpflichtend und möglichst flächendeckend in ganz Österreich.“

 

Quellen:

Lukas, A. Schmerzmed. (2018) 34: 22;

Zwakhalen et al., Pain in older adults with dementia. Schmerz 2018: 32:364-373.

Quelle: Pressemitteilung zu den 18. Österreichischen Schmerzwochen der Österreichischen Schmerzgesellchaft / B&K – Bettschart&Kofler Kommunikationsberatung

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