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Volkskrankheit Migräne: Immer bessere innovative Medikamente

Volkskrankheit Migräne: Immer bessere innovative Medikamente

PK zur 16. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (20.-22. 3. 2019, Eisenstadt) - Statement Prim. Dr. Marc Rus, Leiter der Abteilung Neurologie, Öffentliches Krankenhaus Oberwart, Mitglied des Tagungspräsidiums der 16. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN)


12 Prozent der österreichischen Bevölkerung, 17 Prozent der Frauen und 6 Prozent der Männer, leiden an Migräne unterschiedlicher Ausprägung und Häufigkeit. Migräne kann also durchaus als neurologische Volkskrankheit bezeichnet werden. Bei vielen Migräne-Patientinnen und -Patienten sind die zumeist einseitigen Kopfschmerzattacken derart heftig und häufig, dass sie das Alltags- und Berufsleben erheblich beeinträchtigen können. Trotz der großen Verbreitung und wesentlichen Auswirkungen der Erkrankung ist die Versorgung mit migränespezifischen Medikamenten in Österreich nicht optimal.

Neue Prophylaxe-Medikamente gegen chronische Migräne

Große Hoffnung setzen PatientInnen und ÄrztInnen auf die Entwicklung neuer Medikamente, die prophylaktisch eingesetzt werden können. Mit den Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) Antikörpern stehen erstmals Substanzen zur Verfügung, die spezifisch zur Migränevorbeugung entwickelt wurden.

 

Seit Juli letzten Jahres ist Erenumab, ein Medikament aus dieser Substanzgruppe, in der EU zur Behandlung chronischer Migräne zugelassen. Dieser monoklonale Antikörper wird einmal im Monat unter die Haut injiziert. Er blockiert die Rezeptoren für den CGRP-Botenstoff, der an der Schmerzweiterleitung beteiligt ist und nachweisbar eine große Rolle bei der Entstehung einer Migräneattacke spielt.

 

Erenumab ist seit September 2018 auch in Österreich als Therapie zur Migräneprophylaxe im Einsatz. Die Wirksamkeit des Mittels wird in der STRIVE-Studie belegt. Die LIBERTY-Studie zeigte, dass Erenumab auch bei Patienten wirkt, die bereits zwei bis vier erfolglose Migräne-Präventionsbehandlung hinter sich hatten. Auch die bisherigen Ergebnisse in der klinischen Anwendung sind gut. Bestimmte Migränepatienten haben damit deutlich weniger Kopfschmerzattacken und können somit häufiger berufstätig bleiben.

Verwendung des CGRP-Antagonisten nur sehr eingeschränkt möglich

Allerdings ist der Einsatz des CGRP-Antagonisten nur eingeschränkt möglich. Der neue Wirkstoff kommt nicht für alle Migränepatienten infrage, sondern nur für jene Gruppe, die an chronischer Migräne mit mindestens acht Anfallstagen pro Monat leidet. Um abzuklären, ob eine derartige Form der Migräne vorliegt, müssen sich Betroffene an eine Fachärztin oder einen Facharzt für Neurologie wenden – nur diese können die neuen Medikamente nach sorgfältiger Anamnese und Untersuchung auch verschreiben.

 

Eine große Hürde für die Anwendung ist, dass das neue Medikament nur in seltenen Fällen von der Krankenkasse erstattet wird. Aufgrund des hohen Preises von rund 500 Euro pro Monat werden in Zukunft weit weniger Migräne-Patienten von dieser neuen Entwicklung profitieren können, als notwendig. Aus neurologischer Sicht ist das durchaus eine problematische Situation: Dass PatientInnen eine Therapie entweder nicht bekommen oder die hohen Medikamentenkosten selbst tragen müssen, ist äußerst unbefriedigend.

Medikamentöse Versorgung in Österreich bleibt hinter dem Notwendigen zurück

Insgesamt ist die medikamentöse Versorgung von MigränepatientInnen in Österreich klar verbesserungswürdig:

Wie die „Eurolight“-Studie zeigte, werden Migränepatienten in Österreich und auch europaweit nicht ausreichend mit spezifischen Medikamenten versorgt, was auch für bereits länger etablierte Migränetherapie gilt. Beispielsweise erhalten nur sechs Prozent aller Betroffenen Triptane zur Akutbehandlung.

Die beste Akut- und Präventivversorgung gibt es für jene Patientinnen und Patienten, die den Weg zu einem Facharzt für Neurologie finden. In Österreich sind das aber nur 17,5 Prozent. Um die Situation zu verbessern, braucht es daher gezielte Schulungen aller Gesundheitsdienstleister und der Patienten. Für eine bessere Versorgung ist ein abgestuftes, koordiniertes Zusammenspiel zwischen Hausärzten, niedergelassenen Neurologen und spezialisierten Migräne-Zentren notwendig.

 

Die wissenschaftliche Forschung entwickelt weiterhin neue Therapieformen für Migräne. Seit Anfang März steht Galcanezumab zur Prophylaxe episodischer und chronischer Migräne in Österreich zur Verfügung, weitere CGRP-Antikörper wie Femanzumab und Eptinezumab stehen vor der Zulassung oder befinden sich in der Endphase der Entwicklung, darüber hinaus sind auch die sogenannten Gepants, orale CGRP-Antagonisten, in Entwicklung.

 

Damit die PatientInnen von diesen neuen Medikamenten auch profitieren können, ist es wichtig, dass sie von einem Facharzt für Neurologie untersucht und beraten werden, welche Therapien für sie in Frage kommen.

 

Quellen:

Katsarava Z, Mania M, Lampl C, Herberhold J , Steiner TJ. Poor medical care for people with migraine in Europe – evidence from the Eurolight study. Headache Pain. 2018 Feb 1;19(1):10;

Reuter U, Goadsby PJ, Lanteri-Minet M, et al. Efficacy and tolerability of erenumab in episodic migraine patients who previously failed 2-4 preventive treatments. Lancet. 2018 Oct;

Goadsby, Peter J et al. A Controlled Trial of Erenumab for Episodic Migraine. STRIVE ClinicalTrials. N Engl J Med 2017; 377:2123-2132;

Zebenholzer K, Gall W, Wöber C. Triptan use and overuse in Austria – a survey based on nationwide sickness healthcare claims data. 18th Congress of the International Headache Society, Vancouver 2017.

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