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Zielgerichtete Krebsbehandlung: Innovativer Therapieansatz könnte schwerwiegende Nebenwirkungen verhindern

Zielgerichtete Krebsbehandlung: Innovativer Therapieansatz könnte schwerwiegende Nebenwirkungen verhindern

Zielgerichtete, hochwirksame Krebstherapien werden sehr oft von belastenden Nebenwirkungen begleitet. Das ist zum Beispiel der Fall bei einer häufig eingesetzten Therapie, bei der der EGF-Rezeptor (EGFR) blockiert wird. Der EGFR ist ein Protein, das die Zellteilung aktiviert. Wird es ausgeschaltet, ist die Haut oft so stark von Entzündungen betroffen, dass die PatientInnen die Therapie abbrechen. ForscherInnen des Instituts für Krebsforschung und des Comprehensive Cancer Center (CCC) der MedUni Wien und des AKH Wien konnten in Kooperation mit der Microbiome Facility (JMF) der Universität Wien und der MedUni Wien nun in einer Studie die Mechanismen aufschlüsseln, die zu dieser Hauterkrankung führen. Zusätzlich entwickelten sie eine Strategie, mit der diese Nebenwirkung verhindert werden könnte. Das Ergebnis dieser Studie wurde nun im Top-Journal „Science Translational Medicine“ veröffentlicht.

 

Zellfunktionen wie beispielsweise die Zellteilung werden über Signalwege gesteuert, die durch die Aktivierung sogenannter Rezeptoren ausgelöst werden. Das sind Proteine an der Zelloberfläche oder im Zellinneren, die Signale aufnehmen und ins Zellinnere oder in den Zellkern weiterleiten. Damit fungieren sie wie ein An- und Ausschaltknopf für unterschiedliche Zellfunktionen. Der Epidermal Growth Factor-Rezeptor (EGFR) ist bei Tumorerkrankungen häufig im Übermaß vorhanden, weshalb sich die Tumorzelle sehr rasch und unkontrolliert teilt. Die Blockade des EGFR hemmt diesen Prozess und ist daher inzwischen bei sehr vielen Krebserkrankungen die Standardtherapie.

 

Die hochwirksame Therapie hat jedoch eine schwerwiegende Nebenwirkung: Eine entzündliche Hauterkrankung, die Akne-artig beginnt und schwere, eitrige Entzündungen im Gesicht, auf der Brust und auf den Armen zur Folge hat. Viele PatientInnen müssen deshalb die Dosis der Therapie reduzieren, die Behandlung unterbrechen oder zur Gänze abbrechen.

Haardurchbruch als Schlüsselfaktor

ForscherInnen der MedUni Wien (Forschungsgruppe Maria Sibilia vom Institut für Krebsforschung und Comprehensive Cancer Center (CCC) der MedUni Wien und des AKH Wien) konnten nun die Ursachen für diese belastende Nebenwirkung klären und auch, wie man sie verhindern kann.

 

Sie stellten fest, dass die Hautreaktionen entstehen, weil durch die Blockade des EGFR die Hautbarriere im Bereich des Haarfolikels zusammenbricht, sobald ein Haar durchbricht. Maria Sibilia, die Leiterin der Studie, erklärt, dass beim Haardurchbruch winzig kleine Wunden entstehen, die sich in Abwesenheit des EGFR Signals nicht schnell genug schließen. Dadurch können Bakterien des sogenannten Haut-Mikrobioms, die normalerweise auf der Haut leben und diese schützen, in den Haarfolikel gelangen und das lokale Immungeschehen aktivieren. Das äußert sich zuerst wie eine allergische Reaktion und führt später zu schwerwiegenden Haut-Entzündungen, die durch pathogene Bakterien wie S. Aureus ausgelöst werden.

 

Thomas Bauer, Institut für Krebsforschung der MedUni Wien, Mitglied des Comprehensive Cancer Center (CCC) der MedUni Wien und des AKH Wien sowie einer der beiden Erstautoren der Studie:

Wir konnten in unserer Arbeit auch den Grund für den Zusammenbruch der Hautbarriere identifizieren: Die Blockade des EGFR schaltet unter anderem den sogenannten ERK-Signalweg aus, jenen Signalweg, der beim Haardurchbruch für die Aufrechterhaltung der Hautbarriere zuständig ist.

Aktivierung der Barrierefunktion der Haut

Aufbauend auf dieser Erkenntnis versuchten die ForscherInnen im vorklinischen Mausmodell diesen Signalweg unabhängig von der Blockade des EGFR zu aktivieren. Dafür setzten sie ein spezielles Protein ein, den Keratinozyten-Wachstumsfaktor, KGF, der unter dem Namen Palifermin bei Blutkrebs bereits als Medikament gegen therapiebedingte Entzündungen der Schleimhäute zur Anwendung kommt. Dieses aktiviert den ERK-Signalweg über einen anderen Rezeptor. In Folge blieb die Haut intakt und die Hautreaktionen wurden verhindert oder stark abgeschwächt. Da Palifermin bereits als Arzneimittel zugelassen ist, hoffen die ForscherInnen, dass das Präparat bald für die Behandlung der Hautnebenwirkung bei PatientInnen unter anti-EGFR Therapie eingesetzt werden kann.

Entscheidend für Kombinationstherapien

Das ist vor allem in Hinblick auf Kombinationen von zielgerichteten Therapien mit einer Immuntherapie wichtig, die ja als wichtige Therapiestrategie der Zukunft gelten. Jörg Klufa, Institut für Krebsforschung der MedUni Wien, Mitglied des Comprehensive Cancer Center (CCC) der MedUni Wien und des AKH Wien und der zweite der beiden Erstautoren der Studie:

Die Immuntherapie aktiviert das Immunsystem, was neben der antitumoralen Wirkung auch die entzündlichen Vorgänge beim Wundgeschehen befeuert. Das macht den Schutz der Hautbarriere bei der Therapiekombination doppelt wichtig.

Die Ergebnisse der Arbeit wurden nun im Topjournal „Science Translational Medicine“ veröffentlicht.

Weitere Studie geplant

In einem nächsten Schritt wird das Forschungsergebnis in einer Forschungskooperation zwischen der MedUni Wien und dem Universitätsklinikum Düsseldorf vertieft. Während die Grundlagenforschung in Wien durchgeführt wird, erfolgt die klinische Untersuchung in Düsseldorf. Finanziert wird das Projekt über einen DACH-Forschungsantrag des Wissenschaftsfonds (FWF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)

 

Studie: J. Klufa, Th. Bauer, B. Hanson, C. Herbold, Ph, Starkl, B. Lichtenberger, D. Srutkova, D. Schulz, I. Vujic, Th. Mohr, K. Rappersberger, B. Bodenmiller, H. Kozakova, S. Knapp, A. Loy, M. Sibilia “Hair Eruption Initiates and Commensal Skin Microbiota Aggravate Adverse Events of anti-EGFR Therapy".

Quelle: Presseaussendung der Medizinischen Universität Wien

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