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Psychosoziale Betreuung in Österreich: Große Defizite in der Versorgung und Prävention

Psychosoziale Betreuung in Österreich: Große Defizite in der Versorgung und Prävention

In den vergangenen 40 Jahren hat man in Österreich auf dem Gebiet der psychosozialen Versorgung viel erreicht. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Betreuung psychisch Kranker weiterhin massiven Verbesserungsbedarf gibt.


Prof. Univ.-Doz. Dr. Werner Schöny
bei der PK "40 Jahre pro mente Austria"
in Wien (28.03.2017)

Psychotherapie auf Krankenschein für viele eine Illusion

Dabei geht es keinesfalls um orchideenhafte Forderungen aus der Sozialromantik. In Wahrheit scheitert unser System viel zu oft bereits an wirklich basalen Dingen. Es ist in Österreich völlig unvorstellbar, dass jemand, der Diabetes oder ein Herzleiden hat, keine ausreichende Behandlung bekommt. Bei psychischen Leiden ist das aber gang und gäbe.

Was wir an „Psychotherapie auf Krankenschein“ bieten, ist für den Bedarf bei Weitem nicht ausreichend. Für die Betroffenen heißt das: Entweder sie nehmen monatelange Wartezeiten in Kauf, oder sie bezahlen ihre Behandlung aus der eigenen Tasche. Das können sich aber gerade Menschen, die aufgrund ihrer psychischen Krankheit oft schon lange keiner Arbeit nachgehen können, selten leisten. Deshalb verhandeln wir etwa in Oberösterreich mit den Krankenkassen gerade wieder um eine Aufstockung der viel zu niedrigen Kontingente.

Differenzierte Angebote an Wohnplätzen schaffen

Problematisch ist auch die Wohnsituation. Derzeit stehen – je nach Jahreszeit – 1.000 bis 2.000 Menschen auf  einer Warteliste für einen betreuten Wohnplatz. Um diese abzubauen, müssen wir ein viel differenzierteres Angebot im Wohnbereich schaffen. Nicht alle Betroffenen müssen in einer Wohngemeinschaft mit ständiger Betreuung untergebracht werden. In vielen Fällen würde auch eine lockere Begleitung in größeren Abständen reichen. Wieder andere könnten ihr Leben sogar weitestgehend alleine meistern, scheitern aber an den bürokratischen und finanziellen Hürden einer Wohnungssuche.

Mindestsicherung ausbauen statt kürzen

Gerade auch in diesem Zusammenhang halte ich die aktuelle Diskussion um eine Kürzung der Mindestsicherung für höchst problematisch. In vielen Fällen reichen die Beträge jetzt schon nicht aus, den Betroffenen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dazu kommt, dass nicht nur die Mindestsicherung, sondern auch ergänzende Sozialleistungen in jedem Bundesland anders und unterschiedlich kompliziert organisiert sind. Gerade Menschen mit psychischen Problemen sind damit oft überfordert. Für jemanden, der ohnehin unsicher ist, kann der Weg zu fünf verschiedenen Ämtern, wo er jedes Mal scheel angeschaut wird, eine unüberwindbare Hürde darstellen.

Wir müssen endlich lernen, volkswirtschaftlich statt nur betriebswirtschaftlich zu denken. Wer Sozialleistungen kürzt oder immer weitere Zugangshürden einbaut, wird am Ende nicht nur neues Leid, sondern auch deutliche Mehrausgaben an anderer Stelle verursachen: Je weniger Menschen sich selbst erhalten können, desto mehr müssen wir in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen betreuen.

Prävention fängt schon bei Säuglingen an – Aufholbedarf bei Kindern und Jugendlichen

Um dem so früh wie möglich vorzubauen, wollen wir in unserer künftigen Arbeit den Aspekt der Prävention deutlich verstärken. Hier sehen wir vor allem bei Kindern und Jugendlichen einen großen Aufholbedarf. Zwar weiß inzwischen jeder, dass viele psychische Probleme ihre Wurzeln bereits in der Kindheit haben. Dennoch laufen unserer Forderungen, den Jüngsten mehr psychosoziale Aufmerksamkeit zu widmen, regelmäßig ins Leere.

Sinnvollerweise müsste Prävention schon im Säuglingsalter ansetzen. Bei den Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen etwa wird versucht, alle möglichen Gesundheitsrisiken frühzeitig zu erkennen. Nur ob ein Kind unter psychosozial soliden Bedingungen aufwächst, scheint niemanden zu interessieren. Dabei würde schon ein obligatorisches Gespräch mit psychologisch geschulten Expertinnen oder Experten helfen, um etwa Fälle von Alkoholmissbrauch in der Familie oder eine drohende Überforderung der Eltern zu erkennen.

Das Gleiche gilt für die Vorsorgeuntersuchungen: Obwohl wir wissen, dass es keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit geben kann, geht es auch dabei fast ausschließlich um körperliche Gesundheitsrisiken. Dabei könnten wir uns viele später aufwendig zu betreuende Fälle psychischer Leiden ersparen, wenn wir psychosozialen Aspekten wie Sucht oder psychischer Überforderung gleich hohe Aufmerksamkeit schenken würden.

Die im Gesamtzusammenhang kaum nennenswerten Mehrkosten dürfen bei solchen Überlegungen keine Rolle spielen: Es wäre absurd gerade da zu sparen, wo wir späteres Leid und weit höhere Kosten am effizientesten vermeiden können.

Was unsere Gesellschaft auch braucht ist „Erste Hilfe für die Seele“: Die Menschen sollten lernen, auf die ersten Anzeichen psychischer Probleme und Erkrankungen zu achten und, besser noch, ihnen vorzubeugen. Auch das ist ein Ziel von pro mente Austria, das wir mit unserer Aufklärungs- und Informationsarbeit sehr intensiv verfolgen.

Quelle: Statement Prof. Univ.-Doz. Dr. Werner Schöny (Präsident von pro mente Austria) bei der Pressekonferenz "40 Jahre pro mente Austria"; Text: Journalistenservice B&K Kommunikationsberatung; Foto Prof. Univ.-Doz. Dr. Werner Schöny: (c) B&K/Nicholas Bettschart;

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