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Corona-Impfstoffe: Impfreaktionen vs. Impffolgen: Ein Interview mit Professor Dr. Michael Kundi

Corona-Impfstoffe: Impfreaktionen vs. Impffolgen: Ein Interview mit Professor Dr. Michael Kundi

Professor Dr. Michael Kundi war ab 2004 Leiter des Instituts für Umwelthygiene und Umweltmedizin an der Medizinischen Universität Wien und ist seit 2015 im Ruhestand. Mehr als 500 Publikationen in wissenschaftlichen Journalen hat Prof. Dr. Kundi auf den Gebieten der epidemiologischen, toxikologischen und psychophysiologischen Analyse von Umwelt- und Arbeitsplatzfaktoren sowie zu Impfstoffen und zur Epidemiologie von Infektionskrankheiten veröffentlicht.



Als Mitglied des Nationalen Impfgremium steht er uns für Fragen zur Corona-Impfung zur Verfügung.

 


Univ.-Prof. Dr. Michael Kundi/Foto © MedUni Wien

 

 


CredoWeb: Was versteht man unter dem Begriff Reaktogenität?

 

 

 

Univ.-Prof. Dr. Michael Kundi: Reaktogenität umfasst alle unmittelbar auf die Impfung folgenden, erwartbaren Ereignisse, die mit dem Stich oder mit der unmittelbaren Immunreaktion zu tun haben.



Man spricht hier von lokalen Impfreaktionen, wie

 

  • Schmerzen,
  • Rötung und
  • Schwellung an der Einstichstelle und von

 


sogenannten systemischen Impfreaktionen wie

 

  • Fieber,
  • Kopfschmerzen,
  • Muskelschmerzen,
  • Abgeschlagenheit und Müdigkeit usw.

 

Das sind also Reaktionen, die auf den Stich oder die Zytokinausschüttung und die Aktivierung des Immunsystems zurückzuführen sind.

 

Diese genannten lokalen und systemischen Impfreaktionen fasst man unter dem Begriff der Reaktogenität zusammen. Das sind also die erwartbaren Impfreaktionen, die unmittelbar auf die Impfung folgen, aber auch innerhalb kürzester Zeit wieder verschwinden.

 

CredoWeb: Weisen die derzeit verfügbaren COVID-19-Impfstoffe eine hohe Reaktogenität auf & inwieweit unterscheiden sich hierbei die mRNA-Impfstoffe von den Vektorimpfstoffen?

 

 

 

Univ.-Prof. Dr. Michael Kundi:

 

Im Vergleich zu anderen Impfungen haben die derzeit verfügbaren COVID-19-Impfstoffe eine hohe Reaktogenität. Bei mehr als der Hälfte der Impflinge trat irgendeine Art der unmittelbaren Reaktionen, entweder lokal oder systemisch, auf.

 

Die überwiegende Mehrheit dieser Impfreaktionen sind jedoch als mild bzw. leicht zu bezeichnen.

Eine schwere Reaktion wäre eine solche, die den Geimpften in seinen Alltagsverrichtungen behindert zB, wenn man Bettruhe einhalten muss. Solch schwere Impfreaktionen kommen selten vor, jedoch leichte und milde Nebenwirkungen treten in mehr als 50% der Fälle auf und hier gibt es keine großen Unterschiede zwischen den Impfstoffen.

 

 

CredoWeb: Wie ist überhaupt das Wirkprinzip von Vektorimpfstoffen im Gegensatz zu mRNA-Impfstoffen?

 

 

 

Univ.-Prof. Dr. Michael Kundi:

 

Alle COVID-19-Impfstoffe, sowohl die Vektorimpfstoffe als auch die mRNA-Impfstoffe, verleiten die Zellen, in die die das Agens eintritt, zur Produktion eines Virusproteins. Dieses Virusprotein wird dann von der Zelle an der Oberfläche präsentiert und anschließend von Immunzellen aufgenommen und prozessiert. Das führt einerseits zu einer Antikörperproduktion und andererseits zu einer zellulären Immunität.

 

Beide Impfstofftypen sind in dieser Hinsicht gleich. Der Unterschied liegt darin, wie die Information für die Produktion des Proteins in die Zelle gelangt.



Bei den Vektorimpfstoffen ist es so, dass ein Virusvektor in die Zelle eingeschleust wird. Bei den Vektorimpfstoffen, die derzeit am Markt sind (AstraZeneca- und Johnson&Johnson-Impfstoff) handelt es sich um Adenoviren. Die DNA des Adenovirus gelangt in den Zellkern und dort wird dann das Gen für das Spikeprotein des Coronavirus abgelesen und es entsteht aus der DNA eine mRNA. Danach geht alles genauso von statten wie bei den mRNA-Impfstoffen.

 

Die mRNA-Impfstoffe kürzen diesen Prozess ab, weil die mRNA selbst schon vorhanden ist. Da eine mRNA eine negative Polarität hat, würde sie von der Zelle abgestoßen werden, da diese auch negativ polarisiert ist d.h. man muss die mRNA einhüllen. Hierzu verwendet man Lipidnanopartikel. Diese verschmelzen mit der Zellmembran, weil diese ebenso aus Lipiden besteht. Danach wird die mRNA in das Zytosol (= flüssige Bestandteile des Zytoplasmas) freigegeben und dort passiert dann dasselbe, was auch bei den Vektorimpfstoffen passiert.

 

Der Unterschied liegt also lediglich in der Art und Weise wie die Information in die Zelle gelangt.

 

CredoWeb: Besteht die Möglichkeit, dass der Körper auch auf das Adenovirus reagiert?

 

 

 

Univ.-Prof. Dr. Michael Kundi: Der Körper reagiert durchaus auf das Adenovirus, weil jeder von uns schon einmal Kontakt mit Adenoviren hatte.

 

Es ist nachgewiesen, dass im Anschluss an eine Impfung mit einem Vektorimpfstoff, diese Antikörper, die man bereits gegenüber den Adenoviren hat, geboostet werden.

 

Das zeigt, dass der Organismus erkannt hat, dass es sich um Adenoviren handelt. Dieser Vorgang ist jedoch viel zu langsam, als dass das verhindern könnte, dass das Adenovirus in die Zelle gelangt. Es ist also äußerst unwahrscheinlich, dass das Adenovirus selbst an irgendwelchen besonders gravierenden Effekten schuld ist.

 

 

CredoWeb: Das vermehrte Auftreten von Thromboembolien nach, vor allem Impfungen mit dem AstraZeneca- bzw. Johnson&Johnson-Impfstoffes, ist wohl an niemanden unbemerkt vorüber gezogen.
Warum tritt diese Art von schwerwiegenden Impfreaktionen auf und warum offensichtlich gehäuft bei den Vektorimpfstoffen?

 

 

 

Univ.-Prof. Dr. Michael Kundi: Beide Fragen sind schwer zu beantworten. Es sind zunächst einmal keine Thromboembolien, wie sie gewöhnlich auftreten. Die normale venöse Thromboembolie wie sie bei durchschnittlich 2:1000 in der Bevölkerung auftritt, hat nicht zugenommen.

 

Aber es gibt bestimmte Arten dieser thromboembolischen Ereignisse, die überraschend häufig nach einer Corona-Impfung auftreten. Es sind auch Ereignisse, die man so noch nicht kennt. Es handelt sich hierbei also um ein neues Krankheitsbild, wenn man so will.

 

Es ist eine Kombination von Thrombose und Thrombozytopenie (niedrigen Zahl an Blutplättchen = Thrombozyten). Diese Kombination ist bisher nur von dem sogenannten HIT-Syndrom (= Heparin-induzierte-Thrombozytopenie) bekannt. Das ist eine Art der Thrombozytopenie, die auch mit einer Thrombose einhergehen kann und die in seltenen Fällen im Anschluss an eine Heparin-Therapie auftritt.

 

Dieses Phänomen kann auftreten, wenn man Heparin als Prophylaxe verwendet. Es gibt verschiedene Typen des Heparins, die das mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit auslösen können. Dieses Phänomen ist darauf zurückzuführen, dass das Heparin mit dem Plättchenfaktor 4 einen Komplex bildet. Beim Plättchenfaktor 4 handelt es sich um kleine Moleküle, die eigentlich keine Immunreaktion auslösen können. Wenn sie jedoch an ein größeres Molekül gebunden werden (und das ist beim Heparin der Fall), dann kann eine Immunreaktion gegen diesen Komplex ausgelöst werden. Es ist natürlich fatal, wenn gegen so einen wichtigen Faktor Antikörper gebildet werden. Diese binden sich dann nämlich an die Blutplättchen und diese werden dann aus der Zirkulation beseitigt. Dann haben wir zu wenig davon und das führt zu einer erhöhten Blutungsneigung, was dramatische Folgen haben kann.

 

Nachdem man jetzt weiß, dass das bei Heparin auftreten kann, wird das entsprechend überwacht, womit man das mittlerweile im Griff hat. Wenn man dieses Phänomen erkennt und therapiert, stellt dieses Syndrom keine große Gefahr mehr dar.

 

Es ist leider derzeit noch so, dass es viele Phänomene bei diesem sogenannten HIT-like Syndrom (man spricht dzt. vom TTS-Thrombose-Thrombozytopenie-Syndrom) gibt, die unbekannt sind. Man weiß nicht, warum es auftritt. Das weiß man bei der Heparin-induzierten-Thrombozytopenie ebenfalls nicht und noch viel weniger bei der Vakzin-induzierten-Thrombozytopenie, welche nach der COVID-19-Impfung in seltenen Fällen auftreten kann. Man weiß nicht, warum es Antikörper gegen diesen Plättchenfaktor 4 gibt und man weiß auch nicht, was das Auftreten dieser Thrombozytopenie triggert. Man weiß es beim Heparin nicht und man weiß es bei der Impfung nicht.

 

Vielleicht kann man diese Situation als Chance nutzen, um gleichzeitig mit diesen Vakzin-induzierten-Thrombozytopenien, die Heparin-induzierten-Thrombozytopenien aufzuklären. Es ist nicht ausgeschlossen, sollte hier viel Geld in die Forschung laufen, dass man aufklären kann, wie der Pathomechanismus hierbei funktioniert.

 

 

Wir wissen außerdem nicht, ob dies ein Problem der Vektorimpfstoffe oder ein Problem der Corona-Impfung generell ist. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass dieses Phänomen bei allen Corona-Impfstoffen auftritt - nicht nur bei den Vektorimpfstoffen. Dass man es nur bei den Vektorimpfstoffen entdeckt hat, hängt ganz simpel damit zusammen, dass dieser Impfstoff überwiegend bei jungen Leuten eingesetzt wurde.

 

 

Sie müssen sich hierfür den klinischen Alltag vorstellen:

 

Wenn bei einem 75jährigen eine Thrombose oder Thrombozytopenie auftritt, dann behandelt man diesen und fragt nicht nach, ob er vor kurzem geimpft worden ist, weil man hier weiß, dass in diesem Alter sowieso ein erhöhtes Risiko für Thrombosen oder Thrombozytopenien vorliegt.

 

Wenn aber eine 30jährige mit solchen Krankheitszeichen kommt, dann fragt man sehr wohl nach, wie es dazu kommen kann. Dann kommt man drauf, dass sie vor einigen Tagen die Corona-Impfung erhalten hat, und dann wird das gemeldet.

Selbstverständlich ist man mittlerweile bei allen Altersgruppen und bei allen verabreichten Impfstoffen aufmerksam. Und vielleicht wird sich bald ein klareres Bild ergeben.

 

 

Es gibt eine noch nicht erschienene Untersuchung, die mittels Auswertung einer amerikanischen Datenbank, wo Gesundheitsdaten von 81 Millionen Menschen erfasst wurden, der Frage nachgingen, wie häufig in den 14 Tagen nach einer COVID-19 Erkrankung und nach einer COVID-19 mRNA Impfung (BioNTech/Pfizer oder Moderna) eine Thrombose mit seltener Lokalisation (Gehirnvenen oder Pfortader, wie sie auch bei dem TTS auftritt) vorkommt. Bei dieser Studie wurde die in derselben Größenordnung bei den mRNA-Impfstoffen gefunden, wie es bei den Vektorimpfstoffen auftrat. Das deutet darauf hin, dass es eher ein generelles Problem der COVID-19-Impfungen ist.

 

Übrigens nicht nur bei der Impfung!



Dasselbe Phänomen, das sogenannte spontane HIT, kennt man auch von der COVID-19-Infektion selbst, und zwar in einem mindestens 10-mal und vielleicht noch höherem Ausmaß. Es kommt also häufiger bei der Infektion selbst vor als bei der Impfung. Das deutet sehr stark darauf hin, dass es vermutlich irgendetwas mit dem Virusprotein zu tun hat und nicht mit der Impfung.



CredoWeb: Gibt es eine Personengruppe, die für diese Impffolge besonders gefährdet zu sein scheint?

 

 

 

Univ.-Prof. Dr. Michael Kundi: Zuerst haben wir geglaubt, dass es überwiegend junge Frauen betrifft, aber je mehr wir das Phänomen studieren, umso mehr kommen wir drauf, dass auch Männer und auch Ältere betroffen sind. Es ist also nicht mehr ganz so, wie anfangs vermutet.

 

Es scheint trotzdem so zu sein, dass das Risiko bei jüngeren generell etwas höher ist. Es scheint umgekehrt proportional dem Alter zu sein, sprich je älter man ist desto geringer das Risiko, aber es geht nicht nach 0, denn inzwischen wurde es auch bei einem 93-jährigen registriert.

 

Es gibt demnach keine Personengruppe, die davon gar nicht betroffen ist. Es schaut jedoch so aus, dass bei den Frauen das Risiko nach wie vor etwas höher liegt als bei den Männern.


 

CredoWeb: Wann sollte man bzw. sollte man überhaupt, mit der Corona-Impfung noch warten?

 

 

 

Univ.-Prof. Dr. Michael Kundi: Derzeit lautet die Empfehlung nach wie vor mit der Impfung NICHT zu warten, aber wir beobachten die pandemische Situation diesbezüglich in monatlichen Abständen. Denn je seltener schwere Erkrankungen in der Bevölkerung auftreten, umso eher muss man darauf achten, dass nicht durch die Impfung mehr Erkrankungen hervorgerufen werden als durch die Infektion selbst. Das wird laufend überprüft.

 

Derzeit ist es noch so, dass ein Zuwarten mindestens so riskant ist, wie die Impfung selbst, wenn nicht riskanter. Das gilt ebenso für die jüngere Generation.

 

Das kann sich aber in der Zukunft ändern. Je höher die Durchimpfungsrate und je geringer die Infektionsrate ist, umso eher könnte man sagen, dass man die- oder jene Bevölkerungsgruppe, die ein höheres Risiko hätte an einer Nebenwirkung zu erkranken, ausnimmt. Ich sehe derzeit aber nach wie vor noch ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis bei allen Altersgruppen.

 

Ein Punkt, der in der Diskussion immer wieder aufpoppt, ist, ob man den Impfstoff von einem Vektorimpfstoff zu einem mRNA-Impfstoff bei bestimmten Bevölkerungsgruppen, wo das Risiko der Nebenwirkungen höher ist, wechseln sollte.

 

Ich bin hier jedoch sehr skeptisch, dass dies einen Nutzen bringt, weil es wie gesagt gute Gründe gibt anzunehmen, dass es sich hierbei nicht um ein Vektorimpfstoffproblem handelt, sondern um ein Problem der COVID-19-Impfung generell. Es kann zwar durchaus sein, dass sich herausstellt, dass dieser Mechanismus nur in Kombination mit einem Adenovirus auftritt, es würde mich aber sehr überraschen.

 

 

 

Interview: Christina Neumayer/CredoWeb

Vortrag Reaktogenität, Nebenwirkung und Koinzidenz beim Giftigen Livestream auf infektiologie.co.at zum Thema Impfungen – Reaktogenität & Nebenwirkungen vom 12.04.2021, veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Infektiologie & Tropenmedizin (ÖGIT) unter der wissenschaftlichen Leitung von Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer

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