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Psychotherapiegesetz: ÖÄK kritisiert Österreichs absurden Sonderweg

Psychotherapiegesetz: ÖÄK kritisiert Österreichs absurden Sonderweg

Österreichische Ärztekammer und Vertreter von Fachgesellschaften warnen vor einer Fehlentwicklung durch einen aktuellen Gesetzesentwurf.

„Eines soll hier gleich von Beginn an klargestellt sein: Die ÖÄK begrüßt die Neuregelung der psychotherapeutischen Ausbildung im Rahmen einer universitären Ausbildung“, unterstrich Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, im Rahmen eines Pressegesprächs. Ein aktuell vorliegender Gesetzesentwurf zeige aber eine verkehrte Herangehensweise, die weder den Patientinnen und Patienten, noch der Forschung, noch dem System als solchem etwas bringt – im Gegenteil drohen Versorgungsmängel und eine deutliche Verteuerung des Systems, sagte Steinhart:  „Eines der Kernprobleme ist die geplante künstliche Abtrennung der Psychotherapie von der psychosomatischen Medizin und der Psychiatrie. Das widerspricht dem internationalen Stand der Wissenschaft, wonach Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie geeint werden sollten und jeder Bereich vom anderen lernen soll.“ Der österreichische Sonderweg sei auch insbesondere erstaunlich, „da die weltberühmtesten Psychotherapierichtungen von Wiener Ärzten kamen, wie Sigmund Freud, Alfred Adler und Viktor Frankl“, erinnerte der ÖÄK-Präsident. „Aber all diese internationalen Koryphäen hätten als Psychiater nach dem Gesetzesentwurf keine Lehrpraxisverantwortlichen für die Psychotherapieausbildung sein können, weil man völlig willkürlich die Psychotherapie von der Psychiatrie und der Psychosomatik abtrennen will. Und zwar mit einem metaphorischen Stacheldraht, damit es ja keine Berührungspunkte gibt “, zeigte Steinhart eine der Absurditäten des Entwurfes auf.

 

Aktuell erfolge die Versorgung mit qualifizierter Psychotherapie nicht nur durch Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, sondern auch durch Ärztinnen und Ärzte mit psychotherapeutisch-medizinischer Qualifikation. Diese diagnostizieren, behandeln und betreuen bereits jetzt entsprechend ihrer jeweiligen Qualifikation nicht nur somatisch, sondern auch psychosomatisch und psychotherapeutisch. „Das ist natürlich sinnvoll, weil die Mehrzahl an Krankheiten ja nicht nur körperliche, sondern auch emotionale Komponenten haben“, so Steinhart. Ebenso hätten sich die bereits bestehenden Gemeinsamkeiten bei Aus-, Fort- und Weiterbildung bewährt und würden erfahrungsgemäß zu deutlicher Qualitätsverbesserung und gegenseitigen Weiterentwicklungsideen führen. „All das wird im vorliegenden Entwurf ignoriert. Das sei nicht nur realitätsfern, sondern auch gefährlich und ineffizient.

 

Bayer: „Westentaschen-Psychiater sind nicht die Lösung“

Diese künstliche Abtrennung greife zudem deutlich in den ärztlichen Bereich ein, kritisierte Dietmar Bayer, stellvertretender Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und selbst Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin. „Kurz gesagt will man Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten – auch das international einmalig – bis auf die Medikation die gleichen Kompetenzen wie Psychiaterinnen und Psychiatern zugestehen, und das bei gleichzeitig deutlich kürzerer Ausbildung.“ Völlig übersehen werde dabei eines: „Psychotherapie ist, wie schon der Name sagt, primär eine wirksame Behandlungsmethode, aber keine neue Diagnostik. Die Diagnostik, vor allem hinsichtlich einer möglichen Erkrankung, die durch eine Ärztin bzw. einen Arzt behandelt werden muss, kann und darf nur durch Ärztinnen und Ärzte vorgenommen werden“, hält Bayer den sinnvollen Status quo fest.

„Wie gesagt, die Verwissenschaftlichung der Psychotherapie ist zu begrüßen, aber internationale Standard und teilweise auch nur der Hausverstand müssen schon beachtet werden“, fasst Bayer zusammen: „Mit Westentaschen-Psychiatern ist niemandem geholfen.“ Im Gegenteil brauche das Land dringend mehr Psychiaterinnen und Psychiater und noch mehr Kinderpsychiaterinnen und Kinderpsychiater.

 

Wancata: „Nicht für alle Formen und Schweregrade geeignet“

Im Gesetz solle bestimmt werden, dass „psychotherapeutische Versorgung als Krankenbehandlung bei akuten und chronischen Krankheitszuständen Teil des psychotherapeutischen Berufs sei“, hielt Johannes Wancata, em. Professor für Sozialpsychiatrie der MedUni Wien und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sozialpsychiatrie (ÖGSP), fest. Das wecke den Eindruck, dass Psychotherapie für alle Formen und Schweregrade aller psychischen Erkrankungen geeignet und indiziert sei. „Internationale Leitlinien würden dem widersprechen. „Hintergrund für diese differenzierte internationale Beurteilung ist, dass keine einzige Behandlungsform – auch nicht Psychotherapie – bei allen psychischen Krankheiten, bei allen Krankheitsstadien und bei allen Schweregraden einen Wirksamkeitsnachweis erbringen kann“, sagte der ÖGSP-Präsident.

 

Rados: „Enorme Verschwendung finanzieller und personeller Ressourcen“

Christa Rados, President elect der Österreichischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie (ÖGAPP), forderte, dass zumindest ein Teil der Ausbildung verpflichtend in Einrichtungen der psychiatrischen Krankenbehandlung stattfinden sollte. „Dies ist jedoch im vorliegenden Entwurf nicht vorgesehen, wodurch eine Ausbildung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten an der Medizin und speziell an der Psychiatrie vorbei ermöglicht wird. Das würde sich mit Sicherheit zum Nachteil für viele psychisch erkrankte Menschen auswirken“, ist Rados überzeugt. Zudem würde die wechselseitige Anrechenbarkeit der Ausbildungen nicht zusammenpassen. Dem vorliegenden Gesetzesentwurf entsprechend müssten Ärztinnen und Ärzte im Anschluss an ihre Facharzt- oder psychotherapeutisch-medizinische Ausbildung zusätzlich die komplette praktische Ausbildung nach dem Psychotherapiegesetz absolvieren, kritisierte Rados: „Diese nicht nachvollziehbare Verdoppelung von Ausbildungsinhalten wäre eine enorme Verschwendung finanzieller und personeller Ressourcen.“

 

Forderungen

ÖÄK-Präsident Steinhart formulierte daher folgende Kernforderungen, die in der Stellungnahme zum Gesetzestext bereits dem Ministerium übermittelt wurden:

 

  • Ein abgeschlossenes Medizinstudium ist dem Abschluss des ersten AusbiIdungsabschnittes gleichzusetzen.
  • Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Kinderpsychiatrie, sowie die Ärztinnen und Ärzte mit entsprechender Spezialisierung beziehungsweise mit PSY 3-Diplom müssen den Berufsangehörigen der Psychotherapie gleichgestellt werden und auf Antrag ohne Prüfung in die Berufsliste aufgenommen werden.
  • Die Ordinationen bzw. Gruppenpraxen dieser Ärztinnen und Ärzte sind psychotherapeutischen Lehrpraxen gleichzustellen.
  • Wissenschaftliche Fachgesellschaften für Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin (Psy-Diplome) vermitteln Qualifikationen, die dem Zugang der Psychotherapiewissenschaften entsprechen. Diese Fachgesellschaften sind daher als gleichwertig einzustufen.
  • Klarstellung, dass hinsichtlich der Ausübung des psychotherapeutischen Berufs grundsätzlich immer nur die psychotherapeutische Behandlung gemeint ist. Diese ist immer durch eine Ärztin bzw. einen Arzt anzuordnen.
  • Es muss klargestellt sein, dass Psychotherapie und die von Psychotherapeutinnen und -therapeuten angewandten Therapien nur dort eingesetzt werden dürfen, wo es ausreichend Evidenz gibt.

 

Medienkontakt:

Mag. Sophie Niedenzu, MSc

Stv. Leitung Öffentlichkeitsarbeit

Österreichische Ärztekammer

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TITELFOTO: Christa Rados, President elect der Österreichischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie (ÖGAPP) | © Stefan Seelig

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