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Traditionelle chinesische Medizin im Koordinatensystem des integralen Weltbildes von Ken Wilber

In diesem Artikel werden die Grundlagen der traditionellen chinesischen Medizin und ihre Bezüge zu dem integralen Weltbildes von Ken Wilber dargestellt.


Zusammenfassung

Das System der Traditionellen chinesischen Medizin stellt zusammen mit dem Taoismus ein ausgefeiltes medizinisches System dar, in dessen Mittelpunkt die Begriffe Tao, Yin-Yang und Qi stehen. Während Tao das Unaussprechliche, Transzendente meint, stellt das Begriffspaar Yin und Yang die dynamische, stets im Wechsel begriffene Dualität allen manifesten Seins dar. Qi als die universelle Energie überbrückt die gesamte Spanne vom nicht manifesten Tao bis zur konkreten Manifestation und ist somit ein Begriff für alle Ausformungen und Erscheinungen von „Form“, „Energie“, „Lebenskraft“, „Funktion“, etc. und erscheint in einem ständigen dynamischen Wechsel zwischen Yin und Yang, männlich und weiblich, warm und kalt, außen und innen, usw, usf. Eine weitere Stufe der Konkretisierung des universellen Qi sind die fünf (oder sechs) Wandlungsphasen oder Funktionskreise. Qi manifestiert sich als innere Empfindung (LO), dem ein körperliches Organsystem (RO), ein energetisches Meridiansystem (RO), sowie äußere Klimafaktoren (RU) entsprechen. Somit fassen Funktionskreise Elemente aus drei Qaudranten zusammen, die im westlichen Denken voneinander getrennt sind. Diese Ungetrenntheit ordne ich vor allem der Entstehung des chinesischen Systems in der Prämoderne zu, da es hier noch nicht zu einer Differenzierung der drei großen Wertsphären gekommen ist. (vgl.: Ken Wilber: Wissenschaft und Religion) Die Regelhaftigkeit der Beziehungsmuster zwischen den Wandlungsphasen wird im chinesischen System in den sogenannten „Zyklen“ beschrieben, was einer Ausarbeitung der beiden unteren Qaudranten entspricht.

Zumindest in der alten Literatur ist das chinesische System vollständig in Bezug auf die menschlichen Entwicklungsebenen. Ob es eine aktuelle Praxis und Lehre für die höchsten Ebenen gibt, ist derzeit zu bezweifeln. Gesichert ist das Wissen um den Umgang mit Qi im Rahmen des Qi Gong und der Kampfkünste, was mindestens der psychischen Ebene entsprechen dürfte.

Ein Selbstsystem wird im Chinesischen System nicht explizit beschrieben, im chinesischen Zen - Buddhismus wird das Vorhandensein eines Selbst sogar explizit in Abrede gestellt und auf die Veränderlichkeit und Inkonstanz all dessen, was im Bewusstsein erscheint, verwiesen. Darüber hinaus gibt es nichts Konstantes, Bleibendes.

Das soziale Zusammenleben (untere Quadranten bei Wilber) der Menschen wurde in China über viele Jahrhunderte durch den Konfuzianismus reglementiert, ein ausgeprägter Individualismus, wie er dem Westen eigen ist, hat sich aus der chinesischen Tradition nicht entwickelt. Erst in den letzten Jahrzehnten macht sich im Zuge der wirtschaftlichen Öffnung und des Importes der westlichen Wirtschaft (RU) auch dieser Zug der westlichen Mentalität (LO) stärker bemerkbar.

Aus meiner Sicht beinhaltet das chinesische System in seiner Gesamtheit einige bemerkenswerte Elemente des integralen Systems, ist aber weit davon entfernt, dieses vollständig auszufüllen. Vor allem die Begriffe Qi, Yin-Yang, Tao und der Zen-Buddhismus stellen einen unersetzlichen und einzigartigen Beitrag zum integralen System dar. Dazu kommen 3000 Jahre praktische Erfahrung mit natürlichen Heilsubstanzen aus der Mineral- Pflanzen- und Tierwelt (letzteres ist wegen des Artenschutzes nicht ganz unproblematisch) sowie die Möglichkeit, therapeutisches Handeln auf eine Verbindung von äußeren, inneren und körperlichen Faktoren zu stützen und dies in einem erprobten und ausgefeilten System zu tun. Damit kann dieses System dazu beitragen, die krankhafte Dissoziation zwischen den Wertsphären der westlichen Moderne zu überwinden und zu einem zukünftigen medizinischen System beizutragen, das sowohl die wesentlichen Inhalte des westlichen, wie auch des chinesischen Systems (und noch vieler anderer Systeme) zusammenführt, integriert, und doch in seiner Einzigartigkeit wertschätzt und bewahrt.

Den gesamten Beitrag können Sie im Anhang nachlesen.

ANHÄNGE

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