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ÖÄK-Kampagne zu Finanzausgleich: Weniger ist nicht mehr

Österreichische und Landesärztekammern starten Kampagne am Ballhausplatz


Die vom Ministerrat beschlossenen Artikel-15a-Vereinbarungen sind die Grundlage für einen radikalen Umbau des gesamten österreichischen Gesundheitssystems. Die Politik streut den Bürgerinnen und Bürgern Sand in die Augen und verschweigt die negativen Folgen der geplanten Einsparungen und Umstrukturierungen. Nach dem Willen der Regierung soll das Parlament noch im Dezember ein Gesetz zur Umsetzung der Vereinbarungen beschließen. Die Österreichische Ärztekammer und alle neun Landesärztekammern wollen daher die Bevölkerung mit einer Informationskampagne wachrütteln: Wenn es um Gesundheit geht, ist weniger NICHT mehr.

Die heutige Pressekonferenz am Wiener Ballhausplatz, an der die Spitzen der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) und aller neun Landesärztekammern teilnehmen, ist der Start für eine breit angelegte österreichweite Informationskampagne. Zentrale Informationsplattform ist die Kampagnen-Website www.wenigeristNICHTmehr.at, wo auch FAQs zur Kritik der Ärztekammer an einer Umsetzung der Art.-15a-Vereinbarungen und erklärende Videos zu finden sind. Darüber hinaus setzt man auch auf soziale Medien: fb.com/wenigeristNICHTmehr

Wechselberger: „Einsparungen bringen keine Verbesserungen für Patienten“

Artur Wechselberger, Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) und der Ärztekammer für Tirol: „Mit der in der Vorwoche vorgelegten Art.-15a-Vereinbarung wollen sich Länder und Krankenkassen eine Monopolstellung bei der Planung von Kassenstellen sichern. Es geht in erster Linie darum, Geld zu sparen, und das unter dem Deckmantel der vorgeblich verbesserten medizinischen Versorgung.“ Dass Einsparungen langfristig keine Verbesserung in der Versorgung der Patienten mit sich bringen können, liege eigentlich auf der Hand, werde aber geflissentlich unter den Teppich gekehrt. De facto liefen die Reformvorhaben auf einen radikalen Umbau des jetzigen Systems hinaus, auf massive Verschlechterungen für Ärzteschaft und Patienten gleichermaßen. „Die Österreichische Ärztekammer wird daher alles daransetzen, einerseits die Bevölkerung umfassend zu informieren. Andererseits werden wir dafür kämpfen, die Qualität unseres Gesundheitssystems zu erhalten, ja, zu verbessern“, so der ÖÄK-Präsident.

Forstner: „Weniger Mitsprache der Ärzte bedeutet nicht mehr medizinische Kompetenz“

Die Gesundheitspolitik nehme mit ihren Planungen Verknappungen im Gesundheitswesen in Kauf und streue der Bevölkerung Sand in die Augen, betonte Karl Forstner, 1. ÖÄK-Vizepräsident und Präsident der Ärztekammer für Salzburg: „Wir Ärzte wissen aber, dass weniger öffentliche Mittel für das Gesundheitssystem bis ins Jahr 2021 als in allen bisherigen Planungen und realistischen Prognosen weniger Leistungen bedeuten und nicht, wie vorgegaukelt, mehr Versorgung und Qualität. Wir wissen auch, dass weniger Mitspracherechte der Ärzte nicht mehr medizinische Kompetenz in der Planung des Gesundheitswesens heißen kann.“ Die Politik solle der Bevölkerung sagen, welche Konsequenzen ihre Maßnahmen haben, so Forstner, denn „die Ärzteschaft wolle und könne nicht der Mangelverwalter im Gesundheitssystem sein".

Mayer: „Spitalsversorgung vollkommen in der Hand von Bürokraten“

Harald Mayer, Obmann der Bundeskurie angestellte Ärzte und ÖÄK-Vizepräsident, warnte vor einer massiven Verschlechterung der spitalsärztlichen Versorgung, wenn die 15a-Vereinbarungen umgesetzt würden: „Die Steuerung der Spitalsversorgung würde vollkommen in der Hand von Bürokraten liegen, die Meinung der Ärzteschaft – und damit unsere Expertise – würde nicht berücksichtigt werden.“ Gehe der Entwurf durch, könne der gesamte Spitalsbereich in Zukunft ohne grobe gesetzliche Vorgaben geplant und gesteuert werden. So könnten die Zeitspannen, binnen derer beispielsweise eine chirurgische Abteilung erreichbar sein müsse, willkürlich hinaufgeschraubt werden. Mayer: „Das würde zur Schließung einzelner Abteilungen und zu einer Verschlechterung der wohnortnahen Versorgung führen. Werden Kassenärzte eingespart, landen noch mehr Patienten in den ohnehin schon überfüllten Spitalsambulanzen.“ Auch an der endlich reduzierten Arbeitszeit werde seitens einiger Bundesländer bereits gerüttelt. „Das Ganze wird uns als ,Stärkung des Gesundheitswesens‘ verkauft, in Wahrheit geht es aber um die Verknappung medizinischer Leistungen“, hielt der Obmann der Bundeskurie angestellte Ärzte fest.

Steinhart: „Verbleibende Kassenärzte zur Fließbandmedizin verdammt“

Vor den Gefahren für den niedergelassenen Bereich warnte der Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und ÖÄK-Vizepräsident, Johannes Steinhart: „Sollten die aktuellen Pläne der Politik Realität werden, müssen Kassenärzte und ihre Patienten mit dramatischen Einschnitten rechnen. Denn dann können kasseneigene Ambulatorien in Zukunft ohne Bedarfsprüfung errichtet werden. Der Kassenarzt, wie wir ihn jetzt kennen, wird verdrängt.“ Somit würden die beruflichen Möglichkeiten von Ärztinnen und Ärzten drastisch eingeschränkt, das sei „ein Anschlag auf die Freiberuflichkeit“. Steinhart weiter: „Damit nicht genug: Die Kassen sollen künftig bestehende Verträge einseitig kündigen können. Damit wird der Kassenbereich weiter ausgedünnt. Gleichzeitig verschlechtern sich die Bedingungen: Die Wartezeiten werden noch länger, die verbleibenden Kassenärzte werden zur ,Fließbandmedizin‘ verdammt.“ Und für die Patienten stelle sich die Frage, wie sie ein womöglich mehrere Kilometer entferntes Ambulatorium überhaupt erreichen können, speziell in entlegeneren Regionen, wo der öffentliche Verkehr nicht so gut ausgebaut sei. (ar) --- (Forts.)

Auch die Präsidenten aller anderen Landesärztekammern warnten einhellig vor einer Umsetzung der Reformpläne:

Lang: „Frontalangriff auf solidarisches, sozialversicherungsgestütztes Gesundheitssystem“

Michael Lang, Präsident der Ärztekammer für Burgenland: „Bei den geplanten Umstrukturierungen handelt es sich um einen Frontalangriff auf unser solidarisches, sozialversicherungsgestütztes Gesundheitssystem. Die geplanten Änderungen sind in mehrfacher Hinsicht empörend, zielen sie doch sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich auf vollkommene Kontrolle ab: Einerseits soll der Gesamtvertrag – also der Kollektivvertrag zwischen Gebietskrankenkasse und Ärztekammer – zerstört werden, andererseits soll durch die Abänderung des Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes (KAAZG) die Arbeitszeit der Spitalsärzte wieder verlängert werden, wobei kein Schutz durch Betriebsvereinbarung und Spitalsärztevertreter vorgesehen ist. Damit sind die Ärzte jeglicher Willkür ausgesetzt. Ein wesentliches Ziel sind hier die geplanten Einsparungen. In § 16 Abs. 1 des Bundesgesetzes zur partnerschaftlichen Zielsteuerung-Gesundheit (kurz: Gesundheits-Zielsteuerungsgesetz – G-ZG) ist festgelegt, dass es Ziel ist, den Anstieg der öffentlichen Gesundheitsausgaben für den Zeitraum 2017 bis 2021 stufenweise so weit zu dämpfen, dass der jährliche Ausgabenzuwachs im Jahr 2021 einen Wert von 3,2 Prozent (durchschnittliche Entwicklung des nominellen Bruttoinlandsprodukts gemäß Mittelfristprognose für das Bundesfinanzrahmengesetz) nicht überschreitet. In der vorangegangenen Vereinbarung waren es noch 3,6 Prozent. Die Differenz entspricht 4,5 Milliarden Einsparungspotenzial. Im Burgenland setzen wir auf Information: Information der Patienten darüber, was auf sie zukommt: Die geplanten Änderungen sind der direkte und unwiderrufliche Weg in eine – dann gesetzlich festgelegte! –  Zweiklassenmedizin: Weg von der individuellen Betreuung durch den Arzt meiner Wahl, hin zur Fließbandabfertigung durch ständig wechselnde Ärzte in den Ambulatorien oder in den überlasteten Spitalsambulanzen. Außer, ich kann mir die Individualbetreuung leisten. Information der Politik, da hier das Bewusstsein dafür fehlt, welche Folgen die geplanten Gesetze haben werden: Zerstörung des funktionierenden Gesundheitssystems und eine weitere Flucht der Ärzte aus Österreich, weg aus einem unsicheren und – für all jene, die darin arbeiten – uninteressanten Gesundheitssystem.“

Huber: „Auch Spitalsärzte haben Recht auf 48-Stunden-Woche“

Josef Huber, Präsident der Ärztekammer für Kärnten: „Die ,Reformer‘ wollen das jahrzehntelang bewährte System des freiberuflichen, wohnortnahen Haus- und Vertrauensarztes zerschlagen und durch ambulante Versorgungseinheiten, die womöglich von Kapitalgesellschaften mit Ärzten als ,Befehlsempfängern‘ übernommen werden, ersetzen. Die Wahlärzte erfüllen in der österreichischen Gesundheitsversorgung eine ganz wesentliche Funktion, ein drohender Entfall des Kostenrückersatzes hätte massive Auswirkungen für die Patienten. Es kann auch nicht sein, dass Spitalsärzte kein Recht auf eine 48-Stunden-Woche haben sollen. Weiters besteht die große Gefahr, dass die fachärztliche Versorgung nicht mehr im extramuralen Bereich, sondern in den schon bisher mehr als überfüllten Spitalsambulanzen erfolgen soll. Wir in Kärnten werden das Volksbegehren der Ärztekammer für Niederösterreich unterstützen, eine umfangreiche Informationskampagne bezüglich der geplanten Einschnitte starten und Streikszenarien – bis hin zu einem Generalstreik – vorbereiten.“

Reisner: „Für Erhalt von Wahlarzt-Kostenersatz und Medikamentenabgabe beim Arzt“

Christoph Reisner, Präsident der Ärztekammer für Niederösterreich: „Bei der im Ministerrat beschlossenen Artikel-15a-Vereinbarung handelt es sich um ein unsoziales Kaputtsparen des österreichischen Gesundheitssystems. Niederösterreich mit seinen ländlichen Strukturen wird besonders stark von den Einschnitten betroffen sein. Um die Meinung der Bevölkerung in den parlamentarischen Diskurs einfließen zu lassen, gibt es in Österreich die Möglichkeit des Volksbegehrens. In Niederösterreich haben wir uns daher zu diesem demokratischen Mittel des Protestes entschlossen. Bis Ende Februar kann man das Volksbegehren ,SOS Medizin‘ unterschreiben, bei dem wir den Erhalt ärztlicher Einzelordinationen und Gruppenpraxen, die Begrenzung der Arbeitszeiten für Spitalsärzte, die Beibehaltung der Kostenrückerstattung von Wahlarzthonoraren sowie die Möglichkeit der direkten Medikamentenabgabe fordern. Alle Details dazu gibt es auf www.sos-medizin.at. Dies ist unser Weg, um die Bevölkerung zu informieren und aufzurütteln.“

Niedermoser: „Gesetz wurde handstreichartig im Ministerrat beschlossen“

Peter Niedermoser, Präsident der Ärztekammer für Oberösterreich: „Dieses Vereinbarungsumsetzungsgesetz wurde handstreichartig am 15. November 2016 im Ministerrat beschlossen. Gegen alle üblichen Gepflogenheiten wurde das Gesetz nicht einmal in die Begutachtung gesandt, sondern soll unter Umgehung aller Interessengruppen, vor allem der Ärzteschaft, direkt in den Nationalrat weitergereicht werden. Das ist umso ungeheuerlicher, als mit diesem Gesetz die wesentlichen Eckpfeiler des bisherigen, bewährten Kassensystems beseitigt werden sollen: die partnerschaftliche Steuerung des ambulanten Bereiches und der Vorrang der freiberuflich geführten Ordinationen gegenüber Ambulatorien. Außerdem sieht die Gesetzesvorlage eine weitere Dämpfung der Kostenentwicklung im Gesundheitsbereich vor, die weit hinter den absehbaren Notwendigkeiten hinterherhinkt. Das bedeutet sicherlich keinen akuten Untergang der gewohnten Gesundheitsversorgung. Unter dem Motto: ‚Weniger ist NICHT mehr‘ wird es aber schnell zu noch deutlicheren Leistungseinschränkungen kommen als bisher. Ich erwarte mir von der Politik, dass sie endlich die Wahrheit sagt, denn sie trägt für die Folgen auch die Verantwortung.“

Lindner: „Anschläge von beamteten Monopolyspielern auf Gesundheitssystem“

Herwig Lindner, Präsident der Ärztekammer für Steiermark: „Es ist erschreckend, dass die Ärzte alle vier Jahre auf die Straße müssen, um die Anschläge von beamteten Monopolyspielern auf eines der besten Gesundheitssysteme der Welt zu verhindern.“

Jonas: „Wartezeiten werden massiv zunehmen“

Michael Jonas, Präsident der Ärztekammer für Vorarlberg: „Vorarlberg ist ein alpines Land mit Talschaften, vielen Klein- und Mittelgemeinden und einem großen Ballungsraum. Die dezentrale Versorgung mit allgemeinmedizinischen und fachärztlichen Einzelordinationen garantiert – trotz der geografischen Verhältnisse – bisher eine sehr wohnortnahe und patientenfreundliche ärztliche Versorgung. Durch die geplanten staatsdirigistischen Maßnahmen droht auch in unserem Land Gefahr, dass ärztliche Leistungen künftig nicht mehr allen Patienten in der gewohnten Weise zur Verfügung stehen werden. Das teilweise schon knappe medizinische Angebot wird weiter eingeschränkt und rationiert. Ohnehin schon bestehende Wartezeiten werden massiv zunehmen. Der Ausschluss der Ärzteschaft aus dem Planungsprozess, insbesondere im Bereich der Planung von Kassenstellen, würde negative Auswirkungen auf die gerade in unserem Bundesland gewohnt gut funktionierende sozialpartnerschaftliche Beziehung zwischen Ärzteschaft und Sozialversicherung haben. In einer einstimmig gefassten Resolution wurden vom Vorstand der Ärztekammer für Vorarlberg alle verantwortlichen Landespolitiker sowie die Vorarlberger National- und Bundesräte eindringlich ersucht, diese Maßnahmen zu stoppen und mit der Ärzteschaft in einen breit angelegten Dialog darüber zu treten, was im Gesundheitssystem an sinnvollen Maßnahmen wirklich notwendig ist.“

Szekeres: „Investorenbetriebene Ambulatorien könnten Hausarzt verdrängen“

Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer für Wien: „Die Art.-15a-Vereinbarung und die dazugehörigen Umsetzungsgesetze, die im Ministerrat am 15. November 2016 beschlossen wurden, werden von der Wiener Ärztekammer vehement abgelehnt. Die Vereinbarung führt zu einer Unterfinanzierung des Gesundheitsbereichs, er ist damit der einzige Bundesbudgetbereich mit einem Deckel, bei gleichzeitig schnell wachsender und alternder Bevölkerung. Weiters eröffnet sich die Möglichkeit, dass durch Investoren betriebene Ambulatorien den Hausarzt ersetzen. Das ist eine massive Gefahr für alle Patientinnen und Patienten in Wien, aber auch österreichweit. Die Wiener Ärztekammer akzeptiert die Beschwichtigungen der Bundesregierung zu diesem Thema nicht und verlangt gesetzliche Garantien, dass die vorhin genannten Gefährdungen in der Gesundheitsversorgung nicht eintreten werden. Falls dies nicht passiert, werden wir in Wien Kampfmaßnahmen setzen und gegebenenfalls sogar einen einwöchigen Generalstreik in Betracht ziehen.“

Quelle: ÖÄK

Bildqulle: shutterstock

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