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Zunahme an autoimmun bedingten Gehirnentzündungen

Zunahme an autoimmun bedingten Gehirnentzündungen

Dringender Bedarf für Spezialisierung Neurointensivmedizin. Statement zur 14. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie.


Vor 20 Jahren waren drei Viertel aller Gehirn- oder Gehirnhautentzündungen auf einen bakteriellen Erreger zurückzuführen. Im Großteil der verbleibenden Fälle konnte die Ursache für die Entzündung nicht geklärt werden. Zwar wurde vermutet, dass sich dahinter auch ein immunologisches Geschehen verbergen könnte, diagnostizierbar war das aber nur in Ausnahmefällen.

 

Autoimmun bedingte Gehirnentzündungen nehmen zu

 

Heute hat sich dieses Verhältnis genau ins Gegenteil verkehrt. Erregerbedingte Gehirn- oder Gehirnhautentzündungen sind durch Impfprogramme deutlich zurückgegangen. Dafür haben sich das Verständnis und auch die diagnostischen Möglichkeiten für die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Nerven- und Immunsystem sprunghaft weiterentwickelt. Heute stellen wir bei vielen Fällen von Gehirnentzündung fest, dass bestimmte Antikörper, die das eigene Gehirngewebe angreifen, für die Entzündung verantwortlich sind.

 

Infektionen und Tumore als Auslöser für Autoimmunreaktion

 

Diese Fehlprogrammierung von Antikörpern kann die Folge einer Virusinfektion sein – aber auch durch andere Irritationen des Immunsystems ausgelöst werden. Zum Glück machen wir auf diesem Gebiet rasante Fortschritte: Alle paar Monate werden weltweit weitere Trigger identifiziert. So wissen wir heute, dass in vielen Fällen ein Krebsgeschehen hinter der überschießenden Immunreaktion steckt. Es kommt im Übrigen nicht selten vor, dass Tumore erst durch das Auftreten solcher Gehirnentzündungen und die anschließende Identifikation bestimmter Antikörper entdeckt werden.

 

Früher tödliche Gehirnentzündungen werden heilbar

 

Während wir früher bei Gehirnentzündungen keine ursächliche Behandlung anbieten konnten, gelingt es mit dem wachsenden Verständnis über die Ursachen, zunehmend bessere Therapieansätze zu entwickeln. Je nach genauer Ursache kommen dabei bestimmte Substanzen zur Unterdrückung des Immunsystems zur Anwendung – wie beispielsweise Kortison, oder auch Blutwäsche-Verfahren.

 

Wie wirkungsvoll wir heute behandeln können, lässt sich etwa am Beispiel der sogenannten NMDA-Rezeptor-Enzephalitis zeigen: Dabei werden Antikörper gegen den NMDA-Rezeptor gebildet, der bei der Signalübertragung im Gehirn eine wichtige Rolle spielt. Nach einem grippeähnlichen Vorstadium kommt es in der Folge zu epileptischen Anfällen und schweren Bewusstseinsstörungen. Vor wenigen Jahren noch starb rund die Hälfte aller davon betroffenen Patienten. Bei weiteren 40 Prozent kam es zu einem schlechten Verlauf mit schweren und bleibenden Behinderungen. Heute sterben nur noch 15 Prozent – während wir 60 bis 65 Prozent nach einem guten Verlauf entlassen können. Ein populäres Beispiel für diese Erkrankung war der Eisbär “Knut“ im Berliner Zoo.

 

Spezialisierung Neurointensivmedizin unbedingt erforderlich

 

Derartige Fortschritte dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass solche Formen von Autoimmunerkrankungen immer neurologische Notfälle sind, deren Behandlung eine hohe fachliche Kompetenz erfordern. Umso unverständlicher ist es, dass  derzeit eine wichtige Säule der neurologischen Versorgung in Österreich in Frage gestellt wird.

 

In der alten, nun auslaufenden Ärzte-Ausbildungsordnung gab es die „Neurointensivmedizin“ als eigenes Additivfach. In der neuen Ärzte-Ausbildungsordnung 2015 sind solche Zusatzfächer nicht mehr vorgesehen und können durch die Möglichkeit einer Spezialisierung ersetzt werden. Seither verhandelt die Österreichische Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) gemeinsam mit der Neurochirurgischen Gesellschaft mit Ärztekammer, dem Gesundheitsministerium und den Ländern über eine solche weiterführende Spezialisierung Neurointensivmedizin.

 

Im Sinne unserer Patienten ist diese Spezialisierung unabdingbar. Ohne sie wäre die neurointensivmedizinische Versorgung gefährdet. Wir sind heute zu Recht stolz darauf, dass es flächendeckend in allen Landeshauptstädten eigene, auf neurologische Fälle spezialisierte Intensivstationen gibt. Noch haben wir dafür auch genügend Kolleginnen und Kollegen mit Spezialausbildung. Wird diese aber nicht bald  durch die Spezialisierung Neurointensivmedizin ersetzt, würde an diesen Stationen zwangsläufig das hochspezialisierte Wissen verloren gehen.

Intensivmediziner ohne Spezialisierung Neurointensivmedizin müssten dann auch neurologische Notfälle wie den Status Epilepticus oder Patienten mit Hirndruck behandeln. Das wäre so, als würde man bei einem Schaden am Dach seines Hauses, einen Elektriker oder Installateur anstelle des Dachdeckers zu Hilfe rufen. Natürlich sind alle drei ausgebildete Handwerker, aber eben mit unterschiedlichen Spezialisierungen.

 

Wir müssen daher sicherstellen, dass das heute vorhandene Wissen und die gewachsene Kompetenz auch an die nächste Generation wissensdurstiger Neurologinnen und Neurologen weitergegeben werden kann. Nur so können unser Fach und die neurointensivmedizinische Betreuung in Österreich auch international konkurrenzfähig bleiben. 

 

Pandemien als globale Herausforderungen

 

Sollte es dafür weitere Argumente brauchen, finden wir solche auch in einem anderen Spezialgebiet der Neurologie. Wir müssen davon ausgehen, dass der Bereich der Neuroinfektiologie in einer globalisierten Welt laufend an Bedeutung gewinnen wird.  Der Tourismus trägt ebenso wie weltweite Migrationsbewegungen dazu bei, dass auch exotische Erreger sehr rasch sehr große Verbreitung finden können.

 

Aktuell beobachten wir etwa eine deutliche Zunahme von Fällen zerebraler Malaria. Bei dieser bedrohlichen Komplikation einer Malaria tropica kann der Befall des Gehirns zum Koma und raschem Tod führen. Während noch 1970 in ganz Deutschland gerade einmal 50 Fälle pro Jahr aufgetreten sind, zählen die deutschen Kollegen heute  bereits 1,3 pro 100.000 Einwohner – also rund 1.000 Malaria-Fälle pro Jahr.

 

Leider sehen wir auch wieder zunehmend mehr Fälle von Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Insgesamt verzeichnen wir in den letzten 30 Jahren einen Anstieg der gefährlichen Viruserkrankung um 400 Prozent in allen europäischen Endemiegebieten. Verursacht wird dieser Anstieg möglicherweise durch Migrationsbewegungen – und zwar nicht durch die aktuell diskutierten, sondern durch Wanderbewegungen innerhalb der EU. In Österreich sind die Fall-Zahlen bis jetzt durch eine hervorragende Impfdisziplin und Aufklärungsarbeit der Gesundheitsbehörden konstant.

 

Quelle: Journalistenservice B&K - Bettschart&Kofler Kommunikationsberatung; Foto: AOK-Mediendienst;

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