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Wie gefährdet ist unsere Gesundheit? Nicht durchgeführte Untersuchungen in der Pandemie und ihre Folgen

Wie gefährdet ist unsere Gesundheit? Nicht durchgeführte Untersuchungen in der Pandemie und ihre Folgen


Ergebnis des heutigen Pressegespräches mit Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin im ÖGB, Andreas Huss, ArbeitnehmerInnen-Obmann der ÖGK & Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer.

 

 

 

Die Vorsorgeuntersuchungen sind im vergangenen Pandemiejahr drastisch zurückgegangen – allein im zweiten Quartal 2020 um fast 40 Prozent. Die rückläufige Inanspruchnahme von ärztlichen Untersuchungen führte - anders als noch im August 2020, als die Sozialversicherung ein Minus von 558 Millionen Euro für das Jahr prognostizierte - zu einem vergleichsweise kleinen Minus: Bei der Österreichischen Gesundheitskasse fehlen 2020 vorläufig 11 Millionen Euro.

 

 


Nebenwirkung: Weniger Leistungen für die Versicherten


„Das kleinere Minus ist trügerisch und zeigt nur eine Momentaufnahme. Denn die meisten Versicherten haben aufgrund der Pandemie 2020 deutlich weniger ärztliche Hilfe in Anspruch genommen oder TherapeutInnen aufgesucht“, erklärt Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin im ÖGB. Das habe mehrere Gründe: Angst vor Ansteckung, teilweise geschlossene Praxen und auch die Verunsicherung von PatientInnen und ÄrztInnen.


„Dadurch ergibt sich eine besorgniserregende Nebenwirkung der Pandemie: Die Leistungen gingen zurück“, resümiert Reischl. In der Gegenüberstellung der Prognose vom Februar 2020 (also vor den ersten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie) mit der aktuellen vom Februar 2021 zeigt sich, dass die Leistungen für ÖGK-Versicherte um 337 Millionen Euro zurückgegangen sind. Die Beitragsentwicklung blieb auch unter den Erwartungen; positiv ist jedoch, dass eine negative Beitragsentwicklung dank Kurzarbeit vermieden werden konnte.


Reischl appelliert: Kein Aufschieben von Vorsorgeuntersuchungen


„Die Auswirkungen nicht durchgeführter Vorsorgeuntersuchungen können verheerend sein. Deshalb ist es so wichtig, jetzt Vorsorgeuntersuchungen zu machen. Es wird Zeit, sich wieder einmal durchchecken zu lassen!“, appelliert Reischl an die Versicherten. Das sei wichtig, weil dadurch Krankheiten früher erkannt werden können. Reischl sieht vor allem bei Frauen besondere Vorsicht geboten: „Liebe Frauen, geht bitte wieder zur Mammografie!“.
Das Brustkrebs-Früherkennungsprogramm sei von großer Bedeutung, denn gerade der Brustkrebs, mit einem Anteil von etwa 30 Prozent an allen Tumoren, sei die häufigste Krebserkrankung bei Frauen.


„Die Einhaltung des vorgeschlagenen Untersuchungsintervalls ist wichtig. Alle Frauen, die heuer eine Einladung erhalten, sollten unbedingt hingehen. Denn es ist ebenso wichtig, gesundheitliche Nebenwirkungen der Pandemie zu bekämpfen, wie das Corona-Virus selbst“, sagt Reischl abschließend.

 

Huss: Rückgang der Vorsorgeuntersuchungen von 40 Prozent


Im zweiten Quartal 2020 haben Maßnahmen der Bundesregierung bewirkt, dass etwa die Vorsorgeuntersuchungen um fast 40 Prozent zurückgegangen sind. Besonders ausgeprägt waren die Rückgänge im Allgemeinen Untersuchungsprogramm (Gesundenuntersuchung), bei der Vorsorgekoloskopie und den Vorsorgemammographien. Auffällig war zusätzlich auch der Rückgang bei den Hörgeräten. Im Herbst wurden einige Untersuchungen nachgeholt, aber insgesamt bleiben auch über das Jahr gerechnet signifikante Rückgänge in der Versorgung übrig.


Die Zahlen im Detail:

  • Vorsorge Koloskopie: -13 %
  • Vorsorge Mammographie: -13 %
  • Allgemeines Untersuchungsprogramm: -11 %
  • PAP-Abstriche: -8 %
  • Hörgeräte: -12,5 %



ÖGK: Warum das Minus trotzdem kommen wird


Obwohl die ÖGK 2020 aufgrund zurückgegangener Arztkontakte und Leistungen im Bereich der Hilfsmittel finanziell mit einem blauen Auge davongekommen ist, fehlen strukturell in den kommenden Jahren jährlich ca. 200 Mio. Euro. Die Inanspruchnahme von ärztlichen und anderen Leistungen wird sich ab Mitte 2021 wieder auf das Normalmaß einpendeln, die Einnahmensituation wird sich aber nur unwesentlich verbessern. Kumuliert fehlen der ÖGK laut von der Generaldirektion vorgelegter Vorschau bis 2023 rund 600 Mio. Euro.


Psychotherapie: Bessere Versorgungsstrukturen für alle


Andreas Huss führt dazu aus: „Einen heute unabschätzbaren Anstieg der Leistungen werden wir aber auch in der psychosozialen Versorgung zu stemmen haben. Durch die Pandemie konnte zwar die Stigmatisierung dieser Erkrankungen ein Stück weit abgebaut werden, andererseits steigt damit auch die Inanspruchnahme von Leistungen. In der bereits in Ausbau befindlichen Psychotherapie etwa merken wir schon jetzt einen Anstieg der Leistungen. Das wird aber nicht reichen. Wir werden wohl auch bei der psychiatrischen Versorgung, insbesondere für Kinder und Jugendliche, aber auch bei psychologischen Leistungen nachbessern müssen. Dazu braucht es in Zukunft auch multidisziplinäre Versorgungsstrukturen wie psychosoziale Versorgungszentren und den Ausbau der Frühen Hilfen.“

 

Szekeres: Krankheiten abseits von Corona nicht außer Acht lassen


Bei all der medialen Aufmerksamkeit für die COVID-19-Pandemie dürfe man die Krankheiten abseits von Corona nicht außer Acht lassen, sagt Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres. Vor allem der erste Lockdown hatte zur Folge, dass PatientInnen aus Angst vor Ansteckung Vorsorge- und Routineuntersuchungen, sowie Termine für Impfungen nicht wahrgenommen haben. Die Fachgruppe Radiologie der Österreichischen Ärztekammer berichtete für März und April 2020 von einem dramatischen Rückgang bei Screeninguntersuchungen um 70 bis 80 Prozent – gerade für die Früherkennung sind das gefährliche Zahlen.

 

Im Bereich der Krebsvorsorge ist der Zeitfaktor entscheidend – wenige Wochen können den Ausschlag geben, ob bei einem Tumor beispielsweise eine Resektion noch möglich ist oder nicht. Dazu kommen noch Operationstermine, die verschoben wurden. Diese Lücke, die trotz großer Aufholbemühungen immer noch vorhanden ist, gilt es unbedingt aufzuholen. Allgemein kann das Verpassen von Vorsorgeuntersuchungen dazu führen, dass sich Krankheitsbilder unnötigerweise deutlich verschlimmern.


Unnötig höherer Leidensdruck


Das bedeutet vor allem für die PatientInnen einen unnötig höheren Leidensdruck. In zweiter Linie bedeutet das auch eine zusätzliche Belastung der Spitäler, die nicht notwendig gewesen wäre und damit verbunden höhere Kosten für das Gesundheitssystem. Alle Beteiligten würden also entscheidend davon profitieren, Routine- und Vorsorgeuntersuchungen regelmäßig wahrzunehmen. Die Ärztekammer hat diese Gefahr natürlich schon sehr früh erkannt und sofort nach dem ersten Lockdown PatientInnen intensiv dazu aufgerufen, zu ihrem Arzt und ins Spital zu gehen – natürlich unter geschützten Rahmenbedingungen.


Ärztekammer: Ordinationen sind sichere Orte


Auch in der aktuellen Situation geht es viel darum, den Menschen, vor allem älteren Menschen, die Angst vor dem Arztbesuch zu nehmen. Die Österreichische Ärztekammer arbeitet mit laufend aktualisierten Empfehlungen und Sicherheitsmaßnahmen pausenlos daran, dass die Ordinationen sichere Orte sind und bleiben. Zudem sind Ärztinnen und Ärzte jederzeit für ihre PatientInnen da. Schon im ersten Lockdown hatten über 90 Prozent der Kassenordinationen geöffnet.


Telemedizinische Leistungen


Vieles konnte durch die neugeschaffenen telemedizinischen Leistungen abgefangen werden, besonders die telefonische Verordnung von Medikamenten und die telefonische Krankschreibung waren wesentliche Hebel zur Senkung des Infektionsrisikos in Ordinationen. Darüber hinaus gab es im Bereich der Teledermatologie beispielsweise sehr spannende neue Wege, die beschritten wurden.


Doch alles kann einfach nicht online abgebildet werden. Daher kann man nur an die Menschen appellieren, so Szekeres abschließend:

 

„Nehmen Sie Ihre Termine für Vorsorge- und Routineuntersuchungen unbedingt und unbesorgt wahr – Krebs und andere schwere Krankheiten machen auch in der aktuellen Pandemiesituation keinen Urlaub, sondern können nach wie vor lebensbedrohliche Situationen verursachen.“

 

Rückfragehinweis: 

 

ÖGB Kommunikation
Mag. Toumaj Faragheh
Tel.: +43 664 614 518 0
toumaj.faragheh@oegb.at
www.oegb.at

 

 

Mag. Sascha Bunda

Stv. Leiter Öffentlichkeitsarbeit

Österreichische Ärztekammer

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